Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Trotz Mindestlohn reif für die Insel
05.02.2007


Zum Leben zu wenig, zum Sterben zuviel; so oder so ähnlich geht nicht nur deutschen Arbeitnehmern ohne Mindestlohn, sondern auch vielen Werktätigen in Süd- oder Osteuropa, wo Mindestlöhne festgeschrieben sind. Lettland gehört zu den 20 europäischen Staaten, die ihre Arbeitgeber zur Auszahlung eines Mindestlohnes verpflichten. Während in Deutschland die Debatte gerade erst an Fahrt gewinnt, erhöht der lettische Staat von Jahr zu Jahr seinen Mindestlohnsatz auch um der Arbeitnehmerflucht in das EU Ausland entgegenzuwirken.
 
Gut 65.500 Mindestlohnempfänger gibt es in Lettland, Tendenz fallend.  Diese müssen mit 0,99 Euro pro Stunde oder respektive 172,61 Euro (120 Lats) im Monat auskommen. Soviel steht dem Arbeitnehmer seit dem 1. Januar 2007 auf jeden Fall zu. Im Vorjahr lag diese Mindestgrenze gerade einmal bei 90 Lats (131,56 Euro) im Monat. Die Erhöhung beruht auf  eine lang angelegte Planung der Regierung in Riga, die sich das Ziel gesetzt hat, den Mindestlohn bis zum Jahr 2010 auf 50 Prozent des durchschnittlichen Lohnniveaus zu hieven.

Auch der Durchschnittsverdienst ist gestiegen
Das lettische Zentralbüro für Statistik hat gerade am 29. Januar die jüngsten Zahlen zum lettischen Lohnniveau herausgegeben. Demnach ist das durchschnittliche Einkommen der Letten innerhalb nur eines Jahres – zwischen Oktober 2005 bis Oktober 2006- um 24, 5 Prozent von 242.90 Lats (354 Euro) auf 302.42 Lats (440 Euro) gestiegen. Angestellte im öffentlichen Dienst erhalten noch immer mehr Geld als ihre Pendants in der lettischen Privatwirtschaft, gut 30 Lats (etwa 44 Euro) im Durchschnitt. Besonders strukturschwach scheint der Südosten Lettlands, mithin die Region Latgale zu sein. Hier zählen 15 Prozent aller Arbeitnehmer zu den Mindestlohnempfängern, während der Nordosten, also die Region Vidzeme mit etwas mehr als 7 Prozent die niedrigste Zahl von Mindestlohnempfängern aufweist. Mit den gut 173 Euro ist Lettland zwar noch immer eines der Schlusslichter Europas, gleichzeitig konnte aber der mittelbaltische Staat eine Erhöhung von 47, 8 Prozent zum Vorjahr bewirken. Damit belegt Lettland im europäischen Vergleich den europäischen Spitzenplatz hinsichtlich des Zuwachses im Mindestlohn wie das DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) eigene Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans Böckler Stiftung bestätigt. Freilich ist diese deutliche Erhöhung für den Niedriglohnempfänger in Lettland auch bitter nötig, wenn er dort schadlos über die Runden kommen will.

Bei 173 Euro kaum Geld für Medikamente
Was kann sich also ein Single, der zum Beispiel eine kleine Mietwohnung von 50qm in der Region Zemgale bewohnt, mit 173 Euro eigentlich leisten? Nicht viel, wie unsere Lettland Korrespondentin Rita Dzene meint: „Für eine 50 qm große Mietwohnung muss man hier in der Stadt Jelgava etwa 60 Lats  (87,44 Euro) ohne Heizkosten und ohne Strom pro Monat entrichten. 1 Liter Milch kosten etwas mehr als 0,40 Centime (etwa 58 Cents), 1 Laib Brot um die 50 Centime (73 Cents) und 1 Kilo Kartoffeln 0,20 Centime (29 Cents). Dazu kommt das Problem, dass Krankenpflichtversicherte in Lettland die Medikamente stets selbst bezahlen müssen. Kein Mensch würde hier mit einem Mindestlohn auskommen, wenn er zur Miete wohnt und nicht noch andere Einkünfte hat.“ 

Keine Auswirkungen auf die Arbeitslosenquote
Die neuesten Zahlen des lettischen Statistikbüros beinhalten indes eine interessante Erkenntnis, die dem einen oder anderen Befürworter eines Mindestlohnes für Deutschland scheinbar als Argumentationsfutter dienen könnte. Die Anzahl der Mindestlohnempfänger ist trotz der kontinuierlichen Erhöhung auf nun 120 Lats insgesamt gesunken. Gehörten im Jahre 2005 noch 11, 6 Prozent aller lettischen Arbeitnehmer zu den Mindestlohnempfängern, sind es nunmehr nur noch 8,8 Prozent. Dies ist deswegen beachtlich, weil die Arbeitslosenquote Lettlands laut Eurostats von Dezember 2005 bis Dezember 2006 von 7,5 auf 6,1 Prozent sank. Damit scheint ein Mindestlohn zumindest in Lettland nicht die Zahl der Arbeitslosen zu erhöhen. Ist das typische Argument der deutschen Arbeitgeber also falsch?  Das muss hier unbeantwortet bleiben. Ein Vergleich zwischen Deutschland und Lettland ist hier völlig fehl am Platze, denn die wenigsten deutschen Niedriglohnempfänger verlassen das Land, um woanders ihr Glück zu suchen. Die lettischen Arbeitnehmer tun dies mit zunehmender Begeisterung und verschwinden damit aus jeder heimischen Statistik.

Reif für die Insel(n)
Geschätzte 50 Tausend Lettinnen und Letten verdienen inzwischen ihr Geld im europäischen Ausland. Laut  Raita Karnite vom lettischen Institut für Wirtschaft sollen es in Irland bis zu 25 Tausend, in England noch 15 Tausend sein. Neben der verhältnismäßig niedrigen Sprachbarriere geben gerade die Mindestlöhne den Hauptausschlag für eine Abwanderung. In Irland liegt der Mindestlohn laut WSI bei beachtlichen 8,30 Euro pro Stunde (Platz 2 in Europa), im  kapitalistisch geprägten England bei 7,96 Euro. Da überlegt man nicht mehr lang und packt die Koffer, wenn dem 0.99 Euro gegenüberstehen. Raita Karnite kommentiert in EIROnline: „Die lettische Regierung ist noch weit davon entfernt das Problem der Arbeitnehmerflucht direkt oder indirekt zu lösen.“

-JvR-



 
      zurück