Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Umweltschützer bezweifeln, ob lettische Regierung mit dem EU-Aufbaufonds ökologisch umgeht
10.03.2021


Bemühungen der Pestizidlobby, Pestizide zu schützen, könnten erfolgreich sein

Holzöfen sind nicht nur wegen des Feinstaubs in die Kritik geraten, Foto: Florian Gerlach (Nawaro);Eigenes Werk CC BY 3.0, Link

Im letzten Jahr beschlossen die EU-Länder nach zähen Verhandlungen, auf die Corona-Krise mit einem Aufbauplan zu reagieren. Dafür stellt Brüssel 1,8 Billionen Euro bereit, die teils als Zuschüsse, teils als Kredite in die nationalen Budgets fließen. Die EU-PR bezeichnet das Geld als “größtes Konjunkturpaket aller Zeiten” (ec.europa.eu). Die EU-Länderchefs einigten sich darauf, einen Großteil davon für ökologische Ziele zu verwenden: Klimaschutz, Modernisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik und Schutz der Artenvielfalt. Lettische Umweltschützer bezweifeln allerdings, ob die eigene Regierung damit tatsächlich nachhaltig investieren wird. Oder werden die Kassen nur für eine unveränderte Wirtschaftspolitik gefüllt, für Investitionen, die die Umwelt weiterhin ruinieren?


Laut eines Berichts des Lettischen Umweltfonds (LDF) schickte der nationale Umweltbeirat, dem 21 Organisationen angehören, der EU-Kommission im Februar einen Brief, um seine Besorgnisse über die Regierungsvorhaben mitzuteilen (ldf.lv). Sie könnten der Umwelt mehr Schaden als Nutzen zufügen. Wie werden zukünftig Transport organisiert, landwirtschaftliche Flächen und Wald bewirtschaftet? Weshalb wird Biomethan erzeugt? Die Umweltschützer bezweifeln, dass die Regierung umweltverträgliche Antworten darauf hat. Besondere Zweifel äußern sie an der Praxis, Holz als leicht erneuerbare Energieressource zu betrachten. Auch mit der lettischen Haltung zum Pestizideinsatz sind sie unzufrieden.


Nach Auffassung der lettischen Verbände gefährdet Holz als Energiequelle die Klimaziele. Das Verbrennen von Pellets und Scheiten setzt CO² frei. Im EU-Raum stammen mehr als die Hälfte der erneuerbaren Energieformen aus Biomasse, die verbrannt wird und dabei klimaschädliche Stoffe freisetzt. Die EU-Richtlinien erlaubten sogar, dass Betreiber alter Kohleverbrennungsanlagen finanziell gefördert werden, wenn sie auf Holzverbrennung umstellen. Das sei klimaschädlicher als das Verbrennen fossiler Rohstoffe. Ein Baum als neuer CO²-Speicher wachse erst in vielen Jahrzehnten nach. (In den letzten Jahren betrieb die lettische Lobby der Waldbesitzer PR gegen den Klimaschutz, um sich die Geschäfte mit dem Brennholz nicht verderben zu lassen). Unter der Parole “Brennende Bäume sind keine Klimalösung” beteiligten sich die lettischen Umweltschützer an einer internationalen Petition, die aber nur weniger als 50.000 Unterstützungsbekundungen einbrachte (eubioenergy.com). Holzverbrennung als ökologische Lösung darzustellen betrachtet die Initiative als Fake. Sie verlangt, die EU-Richtlinie zu ändern, Holzöfe und -kamine aus dem Förderprogramm zu streichen.


Im Frühjahr werden Landwirte wieder synthetische Pflanzenschutzmittel auf die Felder sprühen. Zwar gibt es Regulierungsbemühungen, doch nach Auffassung der Umweltschützer ist der Einfluss der Konzernlobby immer noch zu groß: “(...) die EU setzt die Besprechung über die Anwendung der `Bienenrichtlinien` bei der Bewertung von Pestiziden fort. Jüngste Nachrichten bekunden, dass die Bemühungen der Pestizidlobby `Pestizide zu schützen`, von Erfolg gekrönt sein könnten. Die Umweltorganisationen weisen darauf hin, dass EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) unter dem Einfluss der Pestizidlobby und der Mitgliedstaaten die selbst ausgearbeiteten Bienenrichtlinien deutlich verwässert. Das bedeutet, dass die Ziele des Bienenschutzes erheblich abgeschwächt werden,” heißt es im LDF-Beitrag. Derzeit erwägt die EU-Kommission, drei umstrittene Pflanzenschutzmittel weiter zuzulassen.  


 

Erfolgreicher als die internationale Petition gegen Holzverbrennung war eine Initiative auf der lettischen Plattform manabalss.lv: Mehr als 10.000 Unterstützer fand die Forderung, Pestizide in der Nähe von Siedlungen zu verbieten. Nun hat die Saeima eine Arbeitsgruppe beauftragt, die Umsetzung dieses Bürgerbegehrens zu prüfen (manabalss.lv). Ebenso aussichtsreich könnte die Europäische Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten” werden, an deren Petition sich bereits eine halbe Million Menschen beteiligt haben. Die Aktivisten fordern, den Pestizideinsatz spätestens 2035 ganz zu untersagen (savebeesandfarmers.eu).


In diesem Zusammenhang zeigen sich die lettischen Umweltschützer solidarisch mit der französischen Aktivistin Valerie Murat. Sie hatte in den Bordeaux-Weinen von mehr als 20 Winzern Pestizidrückstände festgestellt und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlicht. Die Getränke waren als besonders umweltfreundlich gekennzeichnet. Der Lobbyverband Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux zog gegen sie Ende des letzten Jahres vor Gericht und verlangt die Rücknahme der Veröffentlichung. Außerdem fordert er von ihr mindestens 100.000 Euro Schadensersatz. Dieser Versuch der französischen Weinindustrie, eine Kritikerin zum Schweigen zu bringen, stößt auf den Widerstand der internationalen Umweltbewegung. Im Februar unterzeichneten die Verbände eine Unterstützungserklärung für Murat (biopress.de). (Ähnlich erging es übrigens dem Münchener Karl Bär in Südtirol).


Die lettischen Umweltorganisationen treffen sich mit dem wohlgesinnten Umweltminister, schreiben Protestbriefe, organisieren Petitionen und Unterstützungsbekundungen. Doch der kapitalkräftige Widerstand der Konzernlobby und der Wirtschaftsverbände scheint erfolgreich zu sein. Mit ihm ist die Sehnsucht großer Teile der Bevölkerung nach der vermeintlich erstrebenswerten Normalität der Vor-Corona-Zeit verbunden. Das war allerdings eine fragliche Normalität, die die globale ökologische Krise erst verursachte.  

UB




 
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