Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Die “Oligarchen” Skele und Slesers wegen Betrugs angeklagt
25.03.2021


Die Folgen einer passgenauen öffentlichen Ausschreibung

Der Fernsehturm von Riga, der digital funkt, Foto: Laurijs Svirskis - Paða darbs, CC BY-SA 3.0, Saite

 

Die Staatsanwaltschaft hat die Geschäftsleute Andris Skele und Ainars Slesers angeklagt (lsm.lv). Die Juristen werfen ihnen Betrug vor. Sie sollen vor über einem Jahrzehnt daran beteiligt gewesen sein, die staatliche Lattelecom um Millionen betrogen zu haben. Skele und Slesers werden von ihren Kritikern “Oligarchen” genannt, denn sie gehören zu den reichsten Bürgern der mittleren Baltenrepublik. Einst betätigten sie sich nicht nur als Unternehmer, sondern auch als einflussreiche Politiker: Skele war zweimal Ministerpräsident, Slesers Verkehrsminister. Ihre Parteien “Tautas Partija” und “Latvijas Pirma Partija” waren an mehreren Koalitionen beteiligt, bis eine Anti-Oligarchen-Kampagne sie bzw. ihre Nachfolgeparteien aus den Parlamenten vertrieb. Beobachter sehen in der Anklage einen Erfolg für die lettische Justiz, die allmählich dazu lerne. Andere halten die Anklage für politisch motiviert.

Das TV3-Politmagazin “Neka Personiga” berichtete im Oktober 2020, dass die Staatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen Vorstandschef des staatlichen Telekommunikationsunternehmens “Tet” (bis 2019 “Lattelecom”) und vier weitere Personen ermittelt, weil Betrugsverdacht bestehe. Bei der Einführung des digitalen Fernsehens sei dem staatlichen Unternehmen ein Schaden in Höhe von 7.585.533 Millionen Euro entstanden. Die Pläne für digitales Fernsehen gehen auf die Zeit zurück, als Andris Skele vor mehr als zwei Jahrzehnten Regierungschef war. Einige Jahre später schrieb das damals von Ainars Slesers geführte Verkehrsministerium den Auftrag zur Einführung des Digital-TV öffentlich aus. Der staatliche Rechnungshof kritisierte danach die Ausschreibungsbedingungen, die vorsahen, dass der Gewinner in der Region Riga unverzüglich mit der Ausstrahlung beginnen müsse. 

Diese Bedingung konnte nur die private Firma “Hannu Digital” des Unternehmers Gintars Kavacis erfüllen, die im Fernsehturm auf der Haseninsel bereits über entsprechende Technik verfügte. Lettlands Staatliches Zentrum für Radio und Fernsehen (LVRTC) hätte die Umstellung selbst bewerkstelligen können, wenn nur genügend Zeit geblieben wäre. Doch nun übernahm Hannu Digital in Zusammenarbeit mit Lattelecom den Sendebetrieb unter fragwürdigen vertraglichen Umständen. Die Anti-Korruptionsbehörde KNAB beschäftigt sich seit 2010 mit der Affäre. Die Ermittler fanden heraus, dass Lattelecom etwa 15 Millionen Euro an Hannu Digital zahlen sollte. Dieser Betrag übertraf den Wert der digitalen Technik, die Kavacis` Firma bereitstellte, um ein Vielfaches. Im Vertrag befanden sich zudem versteckte Kosten; so sollte Lattelecom an Hannu Digital zwei Millionen für “Know how” zahlen. Für eine Frist von acht Jahren wollte Hannu Digital 22 Prozent der Lattelecom-Einnahmen erhalten. Allerdings wurde der Vertrag 2014 geändert und nun doch LVRTC beauftragt. Der Lattelecom war aber bereits der Schaden in genannter Millionenhöhe entstanden.

Im letzten Jahr wurden neben Kavacis der ehemalige Lattelecom-Vorstandschef Juris Gulbis und drei weitere führende Angestellte des staatlichen Unternehmens angeklagt und verurteilt, allerdings befindet sich ihr Prozess gerade in Revision. Nach Auffassung des Staatsanwalts Monvids Zelcs war Gulbis an den Verhandlungen mit Hannu Digital beteiligt und er habe eine wesentliche Rolle bei dieser fragwürdigen Geschäftsbeziehung gespielt. Kavacis hatte die digitale Gerätschaft von der Offshore-Firma “Kempmayer Media Limited” übernommen. Diese Strohfirma, die ihre Besitzer geheim hielt, war zuvor von einem Stockholmer Schiedsgericht verurteilt worden, dem lettischen Fiskus fünf Millionen Euro zu überweisen. Ein Geschäftsmann, der das Steuer-Spar-Modell organisiert hatte, zahlte den Betrag mit Geld, das ihm Andris Skele lieh. 

Neben Skele gerät nun auch Ainars Slesers ins Visier der Ermittler, weil er zur Zeit der fraglichen Ausschreibung das verantwortliche Ministerium leitete. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wurden gleichzeitig mit der Absicht des umtriebigen Geschäftsmanns bekannt, wieder in die Politik einzusteigen. Von LSM befragt, zeigte sich Slesers überrascht, dass Entscheidungen, die das Ministerkabinett 2008 einstimmig gefällt habe, nämlich Ausschreibungsbedingungen und Bestätigung des Gewinners, kriminell gewesen sein sollen und er als ehemaliger Verkehrsminister dafür nun angeklagt werde. Für die Lattelecom sei sein Ministerium nicht zuständig gewesen. 

Skele hält die Anklage für unbegründet und weist auf die lange Zeitspanne hin, die die Fahnder benötigten: “Ich hatte keinen Grund anzunehmen, dass ich verdächtigt werde, in konkreten Fällen gegen das Gesetz verstoßen zu haben, denn innerhalb von 12 Jahren wurde ich bis zum März dieses Jahres kein einziges Mal aufgefordert, im besagten Strafverfahren auszusagen.” Er wolle alles tun, um die Angelegenheit rasch aufzuklären und mit den Behörden zusammenarbeiten.

Von Journalisten werden die Anklagen unterschiedlich beurteilt. Maris Zanders sieht darin einen Erfolg der lettischen Justiz. Die Ermittler seien inzwischen erfahrener, auch die internationale Zusammenarbeit habe sich verbessert. Pauls Raudseps ist der Auffassung, dass seitdem Juris Stukans Generalstaatsanwalt ist, sich die Prioritäten geändert hätten (lsm.lv). Bens Latkovskis wittert hingegen eine politische Komponente, die den Regierungsparteien nützt. Die zerbrechliche Fünfer-Koalition aus rechtsliberalen und nationalkonservativen Parteien eint das populäre Image, gegen den Einfluss der “Oligarchen” Front zu machen. Latkovskis bemängelt, dass die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit über die Anklage informiert hat, ohne Details zu nennen. 

Angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit wäre es seiner Auffassung nach wichtig gewesen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage mit einigen Sätzen begründet hätte, welcher Verdacht konkret besteht. So ergebe sich die Möglichkeit, Menschen zu dämonisieren und ihnen vorzeitig schwere Verbrechen anzuhängen. Dies funktioniere aber nur bei jenem Teil der Gesellschaft, der die Betroffenen ohnehin für schuldig halte. “In einer Situation, in der sogar die Parteigänger der Macht gezwungen sind, sich das schwache Krisenmanagement der Regierung in der Pandemiezeit einzugestehen, ist es ein großer Erfolg für die Regierung Karins`, das `Oligarchenthema` in den Vordergrund zu rücken. Präziser formuliert war in dieser Frage das Management der Macht deutlich fähiger als in der Pandemiebekämpfung und eine zwölf Jahre alte Angelegenheit, von allen vergessene Vorfälle, werden von neuem angeheizt.” (nra.lv)

Latkovskis arbeitet für die Tageszeitung “Neatkarigas Ritas Avize”, der nachgesagt wird, Aivars Lembergs nahezustehen. Lembergs gilt als dritter Oligarch im Bunde. Der Bürgermeister von Ventspils befindet sich seit einigen Wochen wegen Korruptionsvorwürfen in einer anderen Angelegenheit im Gefängnis. 

 


 
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