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Lettland: Sorge wegen unabsehbar steigender Lebensmittelpreise
16.03.2022


“Die derzeitige Situation ist dramatisch”

Mineraldünger wird ausgebracht, Foto: Amazone GmbH & Co. KG, CC BY-SA 3.0, Link

Für Kundinnen und Kunden lettischer Lebensmittelgeschäfte ist der Einkauf wahrlich kein Vergnügen mehr. Gerade bei den Grundnahrungsmitteln wie Teigwaren, Gemüse und Obst haben sich die Preise in den letzten Monaten im rasanten Tempo verteuert. Konnte man im letzten Jahr ein Zwei-Kilo-Mehlpaket noch für etwa 80 oder 90 Cent beim Discounter kaufen, sind nun mindestens 2,40 Euro oder mehr fällig. Nun kommt auch noch Russlands Krieg in der Ukraine hinzu; beide Länder sind wichtige Getreide- und Düngemittellieferanten. Lettische Landwirte beklagen sich über steigende Rohstoffpreise im historisch einzigartigen Ausmaß; ein Ende der Teuerungsspirale ist vorerst nicht in Sicht.


Schon vor dem Kriegsausbruch stiegen die Preise sprunghaft an. Da industrialisierte Landwirtschaft Verbrennungsmotoren benötigt, ist der Dieselpreis ein entscheidender Faktor. Er hat sich seit 2020 nahezu verdoppelt. Aivars Bernans, Vertreter eines lettischen Landwirtschaftsverbandes, beschrieb in Latvijas Radio die Lage als “dramatisch” (lsm.lv). Vor dem Krieg in der Ukraine befanden sich die Preise für Stickstoffdünger und Ammoniumnitrat bereits auf Rekordniveau. Laut Bernans übertrifft der Preis für Stickstoffprodukte mittlerweile den für phosphorhaltige, das habe es noch nie gegeben. Ein Landwirt, der Viehwirtschaft betreibt, beobachtet die steigenden Kosten bei Futtermitteln. Er plant, sich nach Lieferanten umzusehen, die nicht mit Erzeugnissen aus Russland, Belarus oder der Ukraine handeln. Doch es wird nicht leicht fallen, Alternativen in ferneren Regionen zu finden, denn das verteuert wiederum die Transportkosten bei ansteigenden Treibstoffpreisen.  


Was sich am Beginn der Pandemie bei wenig wertgeschätzten Berufen zeigte, die sich plötzlich als “systemrelevant” erwiesen, das verdeutlicht Russlands Angriffskrieg auf der Länderebene: Russland und Ukraine, deren Ökonomien gemeinhin als wenig effizient und korrupt gelten, erweisen sich mit ihren Erzeugnissen als kaum ersetzbare Produzenten für die tägliche Daseinsvorsorge, denn sie gehören zu den weltweit größten Exporteuren von Getreide und Düngemitteln. Fast ein Drittel der internationalen Weizen- und Gerstenexporte stammt aus diesen beiden Ländern (agrarheute.com). Derzeit sind aufgrund der Sanktionen die Transporte aus Russland blockiert, auch die Lieferungen aus der Ukraine fallen aus, weil Verkehrswege und Häfen beschossen werden. Zudem fehlen die Erntehelfer, die sich an der Front befinden. Bernans befürchtet, dass die ukrainischen Landwirte in den nächsten Wochen nicht imstande sein werden, die Frühjahrssaat auszubringen.  


UN-Generalsekretär Antonio Guterres wies darauf hin, dass 45 afrikanische Länder, unter ihnen die weltweit ärmsten, ein Drittel ihres Getreides aus Russland oder der Ukraine beziehen, 18 sogar mehr als die Hälfte. Die Händler des UN-Welternährungsprogramms kauften bislang beträchtliche Mengen von ukrainischen Landwirten. Guterres warnte vor einem “Hunger-Hurrican” und einem Zusammenbruch des Welternährungsprogramms. Zugleich binde der russische Krieg in der Ukraine Ressourcen und internationale Aufmerksamkeit, die nun für andere Krisenherde und Probleme des Planeten fehlten (news.un.org).


In der genannten Radiosendung wies Agrarlobbyist Kaspars Melnis auf ein weiteres Problem für lettische Landwirte hin, nämlich auf die polnische Konkurrenz. In Polen seien die Preise für Benzin und Rohstoffe günstiger, so dass polnische Landwirte auf dem gemeinsamen Binnenmarkt im Vorteil sind. Lettisches Benzin sei schon vor Steuern teurer als polnisches Benzin an der Tankstelle. Zudem fordert Melnis eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Zukünftig werden sich Verbraucherinnen und Verbraucher daran gewöhnen müssen, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. Die industrialisierte Landwirtschaft, die günstige Produkte liefert, produziert nicht nachhaltig genug. Die Umstellung auf biologische Produkte wird die Ware verteuern. Der Lettische Naturfonds (LDF) kritisiert, dass das lettische Landwirtschaftsministerium die biologische Landwirtschaft, die die Umwelt schont und das Klima weniger belastet, zu wenig fördert, weniger, als es nach den Plänen des Green Deals der EU-Kommission vorgesehen ist (ldv.lv). Der Umstieg auf Bioprodukte ist verbunden mit einer sozialen Frage: Auch Geringverdiener müssen sie sich leisten können. Umweltgerechter Konsum berührt also auch Verteilungsfragen des gesellschaftlichen Reichtums. 

UB 




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