Lettisches Centrum Münster e.V.

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Lettland: Lehrermangel bereitet von Jahr zu Jahr größere Probleme
08.09.2021


Zuviel Arbeit für zu wenig Geld

Ein lettisches Lehrerpaar in der Unterrichtspause? Foto: Candida Performa, all about love CC BY 2.0, Link

 

Inese Didzus, Rektorin des staatlichen Gymnasiums im semgallischen Dobele, nennt ihr krassestes Beispiel, wie sie momentan noch Unterrichtsausfall zu verhindern weiß. Einer ihrer Angestellten ist bereits im 61. Dienstjahr und 83 Jahre alt. “Er geht in die Klasse und lehrt Physik. Die jungen, modernen Menschen hören ihm zu und lernen. Aber das kann nicht normal werden, dass Menschen in diesem Alter noch ernsthaft arbeiten müssen. Darüber müssen wir ernsthaft nachdenken, weshalb das geschieht. Warum bitten wir den Kollegen Peteris jedes Jahr, ob er noch ein Jährchen dranhängen könnte?” so äußerte sich Didzus gegenüber der LSM-Journalistin Paula Devica (lsm.lv). Der lettische Lehrkörper ist überaltert und der pädagogische Nachwuchs macht sich rar. Das hat verschiedene Gründe.


Die Lehrergewerkschaft LIZDA nennt Zahlen, die verdeutlichen, dass ein Großteil der Lehrerschaft sich im Alter von Großeltern befindet (lizda.lv). Mehr als die Hälfte der lettischen Pädagoginnen und Pädagogen hat das 50. Lebensjahr bereits hinter sich. Im OECD-Durchschnitt ist es nur etwas über einem Drittel. Mit dem pädagogischen Fachkräftemangel ist es so wie mit Sanitätern oder Polizisten, die auf Beschäftigung im staatlichen Bereich angewiesen sind: Die Gehälter sind im Vergleich mit den meisten anderen Branchen unterdurchschnittlich schlecht. Um über die Runden zu kommen, übernehmen Lehrkräfte zusätzliche Kurse an anderen Bildungseinrichtungen. Auf diese Art schont der Staat sein Budget zulasten seiner Angestellten: Er spart durch niedrige Ausgaben für Gehälter, kann die Betroffenen dadurch noch besser ausnutzen, weil sie mit Zweitjobs hinzuverdienen müssen, die wiederum Neueinstellungen erübrigen. Doch langfristig dürfte die fortwährende Erschöpfung des Personals zum Unterrichtsausfall führen. 26 Prozent der unter 50jährigen Lehrer beabsichtigen, in den nächsten fünf Jahren zu kündigen, im OECD-Durchschnitt sind es nur 14 Prozent. Im nächsten Jahrzehnt wird die Hälfte des Personals in Rente gehen oder kündigen.  


Zwar erhöhten lettische Regierungen laut einer EU-Studie das Lehrereinkommen zwischen den Schuljahren 2014/15 und 2018/19 um beträchtliche 62 Prozent (op.europa.eu); doch das ist ein Zuwachs auf geringem Niveau und die Lehrergehälter bleiben weiterhin unter dem lettischen Durchschnittseinkommen. Das monatliche Mindestgehalt für Pädagogen beträgt derzeit 830 Euro brutto. Mit solchen Tarifen gehören lettische Lehrer weiterhin zu den am schlecht bezahltesten innerhalb der EU.


In diesen Tagen beginnt das neue Schuljahr. In Riga sind derzeit etwa 500 Lehrerstellen nicht besetzt. Ernests Sviklis, Rektor der 64. Mittelschule in Riga (die zweijährige Mittelschule entspricht der Oberstufe eines deutschen Gymnasiums), schildert Devica seine Situation: “Wir haben es gerade geschafft, eine Lösung zu finden, dass der Unterricht stattfindet. Aber das gelang teilweise nur durch übergroße Auslastung und teilweise dadurch, dass Kollegen benachbarter Schulen den Ausfall ausgleichen. Dieses Jahr suchen wir mehrere Lehrer für Mathematik, Physik und Englisch. Zum größten Teil gelang es uns, eine Lösung zu finden, aber derzeit sind wir noch auf der Suche nach einem Physiklehrer, um den Bedarf zu decken. Eine solche Situation ist schlussendlich nicht erfreulich.”


LIZDA beschreibt, dass nicht nur das geringe Gehalt, sondern auch die Arbeitsbedingungen junge Lehrerinnen und Lehrer davon abhalten, sich in ihrem gelernten Beruf um eine Stelle zu bemühen. Zu wenige Mentoren betreuten die Nachwuchskräfte, so dass neuen Lehrkräfte schon nach wenigen Jahren aufgeben. Deren Betreuer im Schulkollegium leisten ihre Beratung meistens ehrenamtlich, so dass sich die Arbeitsstunden unentgeltlich noch weiter vermehren. Zudem beklagen Lehrer, in ihrer Arbeit von Kommunen und Behörden zu wenig unterstützt zu werden.

 

 

Die Gewerkschafter schrieben deshalb der Saeima-Kommission für Bildung, Kultur und Wissenschaft einen Brief. Sie fordern von den Abgeordneten, ein Konzept auszuarbeiten, das Abhilfe schafft. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft kündigte an, sich in den nächsten Tagen mit dem Lehrernotstand zu beschäftigen. LIZDA appelliert an die Verantwortlichen, das Problem schnell und umfassend zu lösen, “damit Lettland nicht in die Lage gerät, dass eine qualitative Bildung nur noch gegen Bezahlung erhältlich ist, denn es besteht das Risiko, dass die Lehranstalten nicht mehr genügend Pädagogen finden werden, die sich mit ihren derzeitigen Arbeitsbedingungen in ihrem Beruf abfinden.”

UB 




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