Lettisches Centrum Münster e.V.

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Lettische Regierung plant, Genehmigungen für Windkraftanlagen zu zentralisieren
26.03.2022


Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen

Windkraftanlagen, Foto: Corradox, Eigenes Werk CC BY-SA 4.0, Link

Bislang war Windenergie für lettische Regierungen ein nachrangiges Thema. Die Genehmigung von Windkraftanlagen wurde den Kommunen überlassen, die zwischen die Fronten von Befürwortern und Gegnern gerieten und deren Entscheidungen vor Gericht beklagt wurden. Bauvorhaben verzögerten sich so über Jahre (LP: hier). Der russische Überfall auf die Ukraine verändert die Haltung der politischen Entscheidungsträger. Genehmigung und Bau von Windparks werden nun vorrangig. Nun sollen sie möglichst rasch entstehen, zukünftig soll ein zentrales staatliches Büro die Genehmigung ohne Umweltprüfungsverfahren erteilen. Das bedeutet für die einen weniger Bürokratie, für die anderen weniger Demokratie.


Wer über lettische Energiepolitik urteilt, kann von einem halb vollen oder halb leeren Glas ausgehen. Einerseits beträgt der Energieverbrauch eines lettischen Einwohners nur die Hälfte eines deutschen. 41 Prozent seines Bedarfs deckt Lettland aus Wasserkraft und erneuerbare Energien; das ist der drittbeste Wert in der EU. Andererseits macht unter letzteren der Brennstoff Holz mehr als 80 Prozent aus; Ökologen warnen bereits vor einer Übernutzung des Waldes durch Brennholz und Pellets (LP: hier). Die Windenergie rangiert unter ferner liefen und liefert nur drei Prozent des Strombedarfs. Auch Lettlands Gaslieferant heißt Gazprom, von dem es den fossilen Brennstoff über eine eigene Leitung bezieht. Die mittlere Baltenrepublik deckt fast hundert Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland. Allerdings ist der Gasanteil von acht Prozent am Gesamtenergieverbrauch deutlich geringer als in Deutschland, wo er 27 Prozent beträgt (srf.ch).


Angesichts des aktuellen Drucks, sich von russischen Lieferungen unabhängig zu machen, möchte die Regierung von Krisjanis Karins die Windenergie massiv fördern. Arturs Toms Pless, Minister für Umwelt und regionale Entwicklung, plant einen Gesetzesentwurf für den erleichterten Bau von Windparks mit mehr als 50 MW Leistung (lsm.lv). Das Genehmigungsverfahren soll auf ein halbes Jahr verkürzt werden. Statt Kommunalpolitiker würden die Beamten einer zentralen Behörde entscheiden. Das langwierige Umweltprüfungsverfahren soll abgeschafft werden, statt dessen müsste der Antragsteller Auflagen beachten: “In diesem Verfahren ist vorgesehen, dass zunächst, wenn der Unternehmer seine Pläne vorlegt, er im Grunde schon die wesentliche Erkundungsarbeit geleistet hat, um nachzuvollziehen, wo das realisiert werden kann. Der staatliche Umweltdienst wird die technischen Vorschriften erlassen, die Umweltstandards und andere Bestimmungen enthalten, die zu beachten sind. Danach wird das Ministerkabinett entscheiden.”  


Der Minister gesteht, dass nach seinen Plänen keine Bürgerbeteiligung vorgesehen ist und begründet dies mit der aktuellen Situation: “Bürgerbeteiligung ist dort so gut wie nicht vorgesehen, aber das ist unter diesen Umständen und bei dieser geopolitischen Situation eine notwendige Änderung, um dieses Problem lösen zu können, was selbstverständlich notwendig ist.” Sein Kollege Gatis Eglites, der Sozialminister des Kabinetts, befürwortet Pless` Plan als Bürokratieabbau. Doch er weist auch darauf hin, dass die Gemeinden von Windkraftanlagen profitieren sollten (lsm.lv). Denn bislang haben sie von den turmhohen Betonpfeilern keinen Nutzen: Den Gewinn streicht der private Betreiber ein, die Steuern kassiert der Finanzminister in Riga.


Der Vorsitzende des Kreises Dobele äußerte sich skeptisch, wenn zukünftig über Betroffene hinweg Windparks auf landwirtschaftlich genutzten Flächen errichtet werden, das sei nicht die beste Variante. Und sogar Toms Naburgs, der den Lettischen Verband für Windenergie leitet, kritisiert das Gesetzesvorhaben: “Es geht hier um Nuancen. Die endgültige Planung muss derart erfolgen, dass sie sowohl energetische Interessen, sofortige, schnell realisierbare, als auch die Interessen der Vertreter von Kommunen und Ökologie einbezieht. Diese müssten weiterhin ausbalanciert werden. Diese Balance kann nicht dadurch hergestellt werden, dass man die Interessen einer Seite einfach verwirft.”


Somit wird der Gesetzgeber voraussichtlich Entscheidungen über die Windenergie zentralisieren. Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen, über die Entstehung von Windparks werden fremde Kapitalgeber und Rigaer Beamte entscheiden. Somit wird die Chance einer dezentralen Energieversorgung, an der die Bürger vor Ort beteiligt werden könnten, vertan.  


Udo Bongartz




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