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Streit um EU-Sanktionen: Lettland will russische Düngemittel nur unter UN-Aufsicht freigeben
21.12.2022


Lettischer Außenminister Rinkevics macht Russlands Krieg, nicht die EU-Sanktionen für fehlende Düngemittel verantwortlich

Frauen in Simbabwe transportieren eine WFP-Lieferung, Foto: Kate Holt/AusAID, CC BY 2.0, Link

Lettland gehört mit den baltischen Nachbarn und Polen zu den schärfsten Befürwortern von EU-Sanktionen. Eine Diskussion darüber, wen sie härter treffen, die Sanktionierten in Russland oder die Sanktionierenden in der EU, findet in der lettischen Öffentlichkeit nicht statt. Die Art und Weise, wie die EU und ihre Mitglieder gegen Russland vorgehen, gerät in die internationale Kritik. Afrikanische Politiker beklagen, die westliche Blockade von Dünger- und Lebensmittellieferungen vergrößere die Zahl der Hungernden in ihren Ländern. Russlands engagiert sich innerhalb der Vereinten Nationen, um solche Exporte nach Afrika und Südamerika zu ermöglichen. Rinkevics wertet das aber als Propagandakampagne. Westliche EU-Länder fürchten hingegen, dass sich der afrikanische Kontinent Russland zuwendet und sie fordern eine Überarbeitung der Sanktionsregeln.


Eine Woche nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine legte die Asian Majesty aus Sankt Petersburg kommend im Rigaer Hafen an. Das Frachtschiff war teilweise mit Düngemitteln beladen und sollte am Rigaer Fertilizer Terminal noch Kaliumchlorid aufnehmen, ein Stoff, der für die Herstellung von Kalidünger benötigt wird. Das Düngerterminal in der lettischen Hauptstadt gehört mehrheitlich Dmitri Mazepin. Er gilt als Vertrauter des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Mazepin war Mehrheitseigner von Uralchem, dem größten russischen Düngerfabrikanten. Der Milliardär wird von der EU sanktioniert, daher verringerte er seinen Firmenanteil laut German-Foreign-Policy auf 48 Prozent; dennoch konnte das Unternehmen innerhalb der EU keine Ware mehr ausliefern (german-foreign-policy.com). Als die Asian Majesty den Rigaer Hafen verließ, verbot ihr die Hafenbehörde, lettische Gewässer zu verlassen. Seitdem liegt sie in der Rigaer Bucht vor Anker. Die Kräne von Mazepins Hafenterminal stehen still. Die lettische Umweltbehörde informierte TV3-Journalisten, dass im Hafen noch 89.199 Tonnen Dünger lagern. Niemand wisse, was damit anzufangen sei; bei unsachgemäßer Lagerung herrsche sogar Explosionsgefahr. 


Die Journalisten des TV3-Magazins Neka Personiga berichteten am 1. Dezember 2022 in diesem Zusammenhang über einen Brief, den Mazepin an den lettischen Außenminister Edgars Rinkevics geschrieben hatte (tv3.lv). Er bat die lettische Regierung, die Ausfuhr des in Riga lagernden Kunstdüngers nach Afrika zu genehmigen; sie solle schnellstmöglich die Versorgung mit Düngemitteln für jene Länder sicherstellen, die am meisten unter Nahrungsmittelknappheit zu leiden hätten. Mit derselben Bitte wandte sich der russische Unternehmer an Antonio Guterres, den Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN). Doch die lettische Regierung will nur zustimmen, wenn für russische Geschäftsleute oder russische Firmen kein finanzieller Vorteil aus einem solchen Transport entsteht. Die Fracht solle unter Aufsicht der UN geliefert werden.


Mazepins Dünger entwickelt sich auch zu einer innenpolitischen Auseinandersetzung. Die Journalisten erwähnten, dass Andris Skele, Ainars Slesers und Aivars Lemberg zumindest indirekt mit Mazepins Geschäften in Verbindung stehen. Die drei Geschäftsleute, die zugleich als Politiker tätig sind und bereits als Ministerpräsident, Verkehrsminister bzw. Bürgermeister amtierten und als mehrfache Parteiengründer agierten, sind Kontrahenten der transatlantisch orientierten lettischen Regierung und sie befürworten bessere diplomatische Beziehungen mit Russland. Als Mazepins Rigaer Terminal im Jahr 2013 eröffnet wurde, waren Slesers und Lembergs anwesend; sie und Skele werden von ihren Gegnern als die "Oligarchen" Lettlands bezeichnet. Slesers und Skele sind Anteilseigner des Hafendienstleisters Rigas Commercial Port, der wiederum Minderheitenanteile an Mazepins Terminal hält. 


Im Juni hatten sich Vertreter der Vereinten Nationen (UN), der Ukraine und Russlands in Istanbul geeinigt, Getreideexporte aus der Ukraine zu ermöglichen. Damals waren auch Düngemittellieferungen ein Thema. Laut Rinkevics reisten UN-Mitarbeiter einen Monat später nach Riga, um zu erkunden, ob der im Hafen lagernde Dünger nach Afrika geliefert werden könne. Die lettische Regierung habe die EU-Kommission darüber informiert. Im Oktober bat der UN-Generalsekretär den lettischen Staatspräsidenten Egils Levits, die Düngemittel für das UN-Welternährungsprogramm zur Verfügung zu stellen. Ähnliche Bitten Guterres erreichten auch die Regierungen der Niederlande, Belgiens und Estlands. Insgesamt sollen etwa 200.000 Tonnen Dünger, die russische Firmen in den Häfen dieser EU-Länder lagern, der UN zur Verfügung gestellt werden. 


Doch die lettische Regierung zeigt sich skeptisch. Rinkevics meint, Russland habe "stürmische" Aktivitäten in der UN entfacht. Er behauptet, EU und die G7-Staaten des Westens unternähmen alles, um die Versorgung des Südens mit Dünger und Getreide sicherzustellen. Dass westliche Sanktionen zu Preissteigerungen und einen Mangel an Dünger und Getreide geführt hätten, bezeichnete er als eine russische Propagandakampagne: "Ich kann nicht sagen, wie groß der Einfluss eines Unternehmens oder Russlands beispielsweise bei dieser UN-Aktion war. Ich kann nur sagen, dass das selbstverständlich ein weiterer Versuch von russischer Seite ist, auf maximale Weise sowohl im diplomatischen Bestreben mit dem Süden als auch propagandistisch Profit zu schlagen. Aber wir haben immer klar betont, dass die Sanktionen nicht die Ursache für diese Lage sind, sondern Russlands Angriff und der Krieg in der Ukraine sind dafür die Ursache." Die lettische Regierung gehört zur baltisch-polnischen Pressure Group der Sanktionsbefürworter. Auch für den lettischen Staatspräsidenten sind antirussische Sanktionen unantastbar. Im Interview mit TV3 sagte Levits: "Lettland wird in keiner Weise aufgeben. Lettland beachtet alle Sanktionen und Lettland tritt für weitaus strengere Sanktionen ein."


Derweil kommt die EU international unter Druck. Die Financial Times berichtete am 7. Dezember 2022, dass sich Senegals Präsident Macky Sall, der Vorsitzender der Afrikanischen Union ist, über die EU-Sanktionspolitik gegen Russland beschwerte (ft.com). Sein Kontinent sei im Niederringen Russlands zum "Kollateralschaden" geworden, weil die EU Lieferungen blockiert. Die Webseite des UN-Welternährungsprogramms (WFP) informiert, dass bereits in diesem Jahr die Produktion von Mais, Reis und Sojabohnen sich wegen Düngerknappheit um 2,4 Prozent vermindern werde. Das sei der jährliche Kalorienbedarf von 282 Millionen Menschen (wfp.org). Der Krieg in der Ukraine habe die Zahl der Hungernden auf dem Planeten schon um 70 Millionen vergrößert. Die WFP-Vertreter halten es für eine "begrüßenswerte Entwicklung", dass Mazopins Unternehmen Ulrachem und Uralkali im November ankündigten, ihre gesamten Düngemittel, die in EU-Häfen lagern, der UN zur Verfügung zu stellen; sie beziffern den Umfang auf 260.000 Tonnen. Am 29. November 2022 erhielt Malawi eine 20.000 Tonnen große Lieferung des Uralkali-Düngers aus den Niederlanden. Das WFP hatte den Frachter gechartert.


Einige EU-Mitglieder befürchten nun, dass sich afrikanische Länder Russland zuwenden. Macky Sall hatte im Juni Wladimir Putin in Moskau besucht, was die Financial Times als "Propagandacoup" bezeichnete. Die britische Zeitung erinnerte daran, dass die Hälfte aller UN-Diplomaten, die sich in der New Yorker Vollversammlung bei der Verurteilung Russlands der Stimme enthielten, aus Afrika stammen. Die Sorge um die Gunst afrikanischer Politiker scheint weitere Konflikte hinter den Kulissen der EU zu verursachen. Während die baltischen Länder und Polen die Sanktionen weiter verschärfen wollen, drängen Deutschland, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Belgien und Portugal die EU-Kommission, bestehende Sanktionen so zu formulieren, dass Dünge- und Lebensmittelexporte nach Afrika oder Südamerika nicht weiter blockiert werden. Bislang sind die Sanktionsregeln unklar und widersprüchlich; Banken und Firmen wagen deshalb nicht, russische Fracht zu finanzieren bzw. zu organisieren.


Das Nachrichtenportal Business News des Unternehmens Indian Online Mart zitierte am 24. November 2022 Maria Zacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, die ihren Unmut über Lettlands Liefersperre kundtat: Wenn der Westen sage, er kümmere sich um die ärmsten und bedürftigsten Länder, dann solle er seinen ganzen Einfluss auf Lettland und andere Staaten nutzen, um dieses Problem zu lösen (indiaonlinemart.net).


Udo Bongartz 




 
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