Lettisches Centrum Münster e.V.

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Rigaer Flaggenstreit mit Belarus wird international beachtet
27.05.2021


Belarus droht mit Aufkündigung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung “illegaler Migration”

Die weiß-rot-weiße Flagge war Nationalflagge in der ersten Phase der weißrussischen Republik von 1918, kurz bevor Bolschewisten das Land besetzten und sie durch die rot-grüne Fahne ersetzten. Auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR waren Weiß-Rot-Weiß zunächst wieder die Nationalfarben von Belarus, bis Lukaschenko nach seiner Wahl 1994 wieder die rot-grüne sowjetische Flagge einführte, von der allerdings Hammer und Sichel entfernt wurden. Foto: Gemeinfrei, Link

 

Die erzwungene Landung eines Linienflugs zwischen Athen und Vilnius auf dem Flughafen der belarussischen Hauptstadt Minsk am 23. Mai 2021, die die dortige Regierung nutzte, um den Oppositionellen Roman Protasewitsch und seine Freundin Sofia Sapega festzunehmen, verschärft die Spannungen zwischen Belarus und seinem baltischen Nachbarn Lettland. Der Rigaer Bürgermeister Martins Stakis, in dessen Stadt gerade die Eishockey-WM stattfindet, reagierte mit einer symbolischen Aktion: Er entfernte in der Rigaer Innenstadt die offizielle Flagge von Belarus eigenhändig aus dem Fahnenstrauß der 16 WM-Länder. Auch Außenminister Edgars Rinkevics nahm an dieser Aktion teil. Stakis ließ auch an anderen Orten die offizielle rotgrüne Flagge des Nachbarlandes durch die historische weiß-rot-weiße austauschen, die belarussische Oppositionelle auf ihren Kundgebungen verwenden. Nicht nur die Minsker Regierung, sondern auch der Eishockey-Weltverband IIHF kritisierte die Parteinahme lettischer Politiker. Der IIHF forderte Stakis auf, die Fahnen des IIHF und der Hockey-WM nicht neben der weiß-rot-weißen Flagge wehen zu lassen.


Auf seiner Webseite begründete der IIHF, der sich als unpolitische Sportorganisation bezeichnet, seine Kritik am lettischen Vorgehen. Man müsse das Handeln der belarussischen Regierung von den Spielern des Landes trennen. Letztere seien in Lettland als Gäste empfangen worden und sollten ihre Flagge ohne ihr Einverständnis nicht entwendet sehen an öffentlichen Orten, wo die Fahnen aller 16 teilnehmenden Länder des Turniers präsentiert werden. Im Einklang mit IIHF-Statuten wolle der Verband nicht mit den politischen Stellungnahmen Stakis` und Rinkevics` in Verbindung gebracht werden. Der IIHF hoffe, dass “das Büro des Rigaer Bürgermeisters seine Entscheidung, die Flagge von Belarus aus der Gruppe der teilnehmenden Nationen zu entfernen, überdenken wird” (iihf.com).


Rigas Bürgermeister verkündete in den sogenannten sozialen Medien, dass er Hockey liebe, aber es dürfe nicht zur Verschleierung von Verbrechen benutzt werden. Er behauptete, mehrere tausend Dankesbriefe aus aller Welt für seine Aktion erhalten zu haben. Stakis kam der Forderung des IIHF in provozierender Weise nach: Er ließ auch die IIHF-Flaggen entfernen. Die Haltung des Schweizer IIHF-Präsidenten Rene Fasel kommentierte er ironisch: “Jeder muss diesmal die Seite wählen, auf die er steht. Auf der des verfolgten, aber nach Freiheit dürstenden Volkes oder auf der des blutigen und unberechenbaren Diktators. Ich habe mich entschieden - und auf Bitte des Herrn Fasels hin werden wir die Fahne des IIHF entfernen.” (lsm.lv) Fasel werden enge Kontakte zu Alexander Lukaschenko nachgesagt. Die Umarmung zwischen dem IIHF-Präsidenten und dem Diktator hatte im Januar 2021 für Schlagzeilen gesorgt (LP: hier). Ursprünglich sollte Lettland die WM gemeinsam mit Belarus austragen. Fasel hatte sich lange dafür eingesetzt, die WM trotz “Sicherheitsbedenken” auch in Minsk zu veranstalten. Erst die Kritik finanzstarker Sponsoren veranlasste den IIHF zur Absage.


Belta, die staatliche Nachrichtenagentur von Belarus, reagierte erwartungsgemäß. Sie schrieb über die “Beleidigung der belarussischen Staatsflagge”, über die sich der Rat der Republik “empört” zeige. Der Vorfall sei eine “Verletzung des Völkerrechts”, womit die “lettischen Beamten die letzten Reste des gegenseitigen Vertrauens” zerstörten. Die belarussischen Vorwürfe treffen auch die übrigen EU-Länder, die den Eindruck erweckten, als hätten “sie diesen ungeheuerlichen Vorfall nicht bemerkt”. Die Agentur zitiert den Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und nationale Sicherheit, Sergej Ratschkow: “Die Länder, die uns Demokratie lehren und gute Manieren beibringen wollen, haben weggeschaut, als am helllichten Tag der Bürgermeister von Riga und der Außenminister der Republik Lettland die Nationalflagge der Republik Belarus herunter zogen und daraus eine politische Show machten“ (belta.by). Zudem fordert Ratschkow von der lettischen Regierung eine Entschuldigung.


Nicht alle lettischen Kommentatoren begrüßen die wenig diplomatisch erscheinende Aktion. Imants Viksne befürchtet, dass sie ebenso wie die EU-Sanktionen Lukaschenko noch stärker in die Arme Putins treiben könnte. Zudem werde in den belarussischen Medien derzeit verhältnismäßig viel über Lettland berichet, “weil die politischen Leader Lettlands sowohl in direkter als auch in übertragener Bedeutung mit der dem herrschenden Regime Weißrusslands feindlichen Symbolik umhergehen. Deshalb bekunden Minister, Abgeordnete und alle, denen dies aufgetragen wird, um die aktuelle Botschaft zu verbreiten, dass Lettland Weissrussland zu schaden wünscht.” (nra.lv) Minsk habe der Flaggenaustausch mehr verärgert als das Verhalten Litauens oder Großbritanniens, die Schließung des Luftraums für belarussische Fluggesellschaften oder EU-Sanktionen.


Eine weitere Belta-Meldung bestätigt Viksnes Befürchtung. Belarus` Außenminister Wladimir Makej deutet an, dass sein Land die EU-Initiative “Östliche Partnerschaft” verlassen könnte. Die EU hatte dieses Projekt nach dem Kaukasus-Krieg von 2008 begonnen, um Russlands postsowjetische Anrainerstaaten stärker an sich zu binden. Der andauernde Sanktionsdruck mache eine weitere Teilnahme “sinnlos” (belta.by). Makejs Drohung, unter Umständen auch “die Zusammenarbeit mit der EU bei der Bekämpfung der illegalen Migration” aufzukündigen, trifft einen wunden Punkt der selbst ernannten “Wertegemeinschaft” namens EU, die nicht nur die Staaten Nordafrikas, sondern auch ihre östlichen Anrainer dazu benutzt, Geflüchtete von den eigenen Außengrenzen fernzuhalten. Die Taz offenbarte 2017 eine zuvor geheim gehaltene Vereinbarung, nach der sich die EU gegenüber Belarus verpflichtet hatte, mit sieben Millionen Euro “Unterbringungseinrichtungen für Migranten” zu finanzieren. Russland beschwerte sich, weil es über diese Absicht nicht informiert worden war. Doch ein Vertreter des belarussischen Außenministeriums beschwichtigte: „Was wir heute machen, haben unsere russischen Partner schon vor 10 Jahren gemacht.“ (taz.de) Auch Russland habe im Rahmen des Rückführungsabkommens mit der EU Geld erhalten.  

UB




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