Lettisches Centrum Münster e.V.

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Ministerpräsident Krisjanis Karins entlässt Wirtschaftminister Janis Vitenbergs
13.05.2021


Möglicher neuer Wirtschaftsminister plant Technokratenregierung

Das lettische Wirtschaftsministerium, Foto: Edgars Kosovojs - Paða darbs, CC BY-SA 3.0, Saite

 

Karins (Jauna Vienotiba, JV) wies am 12. Mai 2021 die Entlassung Vitenbergs` (Nationale Allianz, NA) an. Damit folgte er einer Forderung des Koalitionspartners Kam pieder valsts? (Wem gehört der Staat? KPV). Vitenbergs war vor wenigen Wochen von der rechtspopulistischen KPV zur nationalkonservativen NA gewechselt, weil er sich von einer NA-Mitgliedschaft eine größere Zukunft für die eigene Karriere versprach. Doch die KPV-Abgeordneten sahen den Ministerproporz gefährdet. Nach der gestrigen Sitzung ihrer Fraktion beschlossen sie mit denkbar knappstem Ergebnis, Vitenbergs` Abberufung zu fordern. Vier KPV-Abgeordnete stimmten für die Entlassung; Vitenbergs` Vorgänger im Amt, Ralfs Nemiro, enthielt sich. Vier KPV-Abgeordnete stimmten gegen die Amtsenthebung und kündigten an, die Fraktion zu verlassen, sie wollen die Regierung weiterhin unterstützen. Nur weil KPV-Fraktionsvorsitzender Maris Mozvillo bei einem Patt entscheiden darf, kam es zu diesem Ergebnis. Nun wird Landwirtschaftsminister Kaspars Gerhards (NA) Vitenbergs` Ministerposten kommissarisch übernehmen. Parteienvertreter fordern einen neuen Koalitionsvertrag und Gespräche darüber, ob die fragile Mitte-Rechts-Koalition aus fünf liberal- und nationalkonservativen Parteien überhaupt zur weiteren Zusammenarbeit bereit ist. Die innere Zerstrittenheit und der Zerfall der KPV-Fraktion erweist sich als fortwährendes Hindernis.


Der Schauspieler und Radiomoderator Artuss Kaimins gründete 2016 die KPV, die mit einem Sammelsurium wirtschaftsliberaler und nationalkonservativer Parolen zu den Saeima-Wahlen von 2018 antrat. 120.264 Wählerinnen und Wähler votierten für die KPV. Mit 14,25 Prozent wurde sie aus dem Stand zweitstärkste Partei, hinter der in der Oppsition isolierten sozialdemokratischen Saskana und knapp vor der Jauna Konservativa Partija (JKP). Sowohl JKP als auch KPV waren in der Saeima mit 16 Abgeordneten vertreten. Da sich die beiden Parteien nicht darauf einigen konnten, wer den Ministerpräsidenten stellt, wurde ein Politiker der kleinsten Fraktion der liberalkonservativen JV, Krisjanis Karins, der neue Regierungschef. Fünf der 16 KPV-Abgeordneten verweigerten der Regierung Karins sogleich ihre Zustimmung. Nach und nach erklärten KPV-Abgeordnete ihren Austritt aus der Fraktion, die nach dem gestrigen Tag auf fünf Personen geschrumpft ist - das ist nach dem Saeima-Statut die Mindeststärke für eine Fraktion. Personelle Konflikte kennzeichneten von Anfang an die KPV-Politik.


KPV-Mitglied Aldis Gobzems sollte im Auftrag des Staatspräsidenten am Anfang des Jahres 2019 eine Regierung bilden. Er scheiterte aber in den Koalitionsverhandlungen. Wenig später warf ihm Parteigründer Artuss Kaimins in einer Saeima-Rede vor, unlautere finanzielle Beziehungen zum berüchtigten Schweizer Rechtsanwalt Rudolf Meroni zu unterhalten, der im Verdacht steht, sich als Verwalter der Firmenbeteiligungen Aivars Lembergs` zu bereichern (lsm.lv). Meroni weist allerdings den Vorwurf illegaler Machenschaften zurück (bnn-news.com). Schon im Februar 2019 wurde Gobzems auf Betreiben Kaimins` aus der Partei ausgeschlossen. Gobzems gründete im Januar dieses Jahres die Partei “Likums un kartiba” (Recht und Ordnung), die Chancen hat, in eine zukünftige Saeima einzuziehen. Parteigründer Artuss Kaimins gilt als einer der “skandalösesten” Saeima-Abgeordneten (archive.org). Im Januar 2020 stellte sich heraus, dass sich Kaimins selber von einem Vertrauten Meronis 13.000 Euro geliehen hatte. Gegenüber dem Finanzamt verschwieg er dieses Darlehen (puaro.com). Zur selben Zeit wurde auch er aus seiner Partei ausgeschlossen. Die Antikorruptionsbehörde ermittelte gegen ihn wegen Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften. Einen fragwürdigen Eindruck hinterließ auch Vitenbergs` Amtsvorgänger Ralfs Nemiro. Er musste im März 2020 zurücktreten, weil ihm der lettische Verfassungsschutz den Zugang zu den Staatsgeheimnissen nicht mehr genehmigte.


Der Hauptgrund für die Fortexistenz dieser Koalition ist das Bestreben der lettischen Mitte-Rechts-Parteien, die sozialdemokratische Saskana von der Regierung fernzuhalten, weil sie als Vertreterin der russischsprachigen Minderheit gilt, der von lettischer Seite unterstellt wird, eine “Kreml-Partei” darzustellen. Die Nationalkonservativen werten es als ihren Erfolg, die Sozialdemokraten von der Macht fernzuhalten. Ein weiterer Grund besteht darin, dass viele Abgeordnete der Regierungsfraktionen bei vorgezogenen Neuwahlen um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen müssten.


Juris Puce, Abgeordneter der liberalen Regierungsfraktion Attistibai/Par! (AP), selbst ein Exminister, der wegen einer Affäre zurücktrat, hält die Situation der KPV für die Ursache der Instabilität. Das Gleichgewicht zwischen den Fraktionen habe sich verschoben und er wies auf die verminderte Zahl der KPV-Abgeordneten hin. Zudem sei offen, ob die Regierung noch über eine parlamentarische Mehrheit verfüge. Der Premier solle die Parteien zu Gesprächen auffordern, wie sie ihre Zusammenarbeit weiter gestalten wollten. NA-Fraktionsvorsitzender Raivis Dzintars fordert eine neue Koalitionsvereinbarung (lsm.lv). In einer Pressemitteilung begründete der Abgeordnete Aivars Geidans, der für Vitenbergs stimmte und die KPV-Fraktion verließ, seine Entscheidung. Er warf seinen Fraktionskollegen vor, dass sie offensichtlich unfähig seien, langfristig und koordiniert zu handeln, was ein Risiko für die Reputation bedeute. Zudem warf er dem Parteivorstand vor, für das Amt des Wirtschaftsministers einen Kandidaten mit zweifelhaftem Ruf vorzusehen und deutete Geheimpläne zur Machtübernahme an.


Im Interview mit LTV kündigte Sozialministerin Ramona Petrovica (KPV) am 13. Mai 2021 den Neustart ihrer Fraktion an, die mit parteilosen Abgeordneten, Abgeordneten anderer Fraktionen und KPV-Rückkehrern verhandele (lsm.lv). Als mögliche Kandidaten für das Wirtschaftsministerium nannte Petrovica den Unternehmer Peteris Smide und den bislang parteilosen Abgeordneten Didzis Smits. Ein Zitat des letzteren verdeutlicht, was Geidans mit seinen rätselhaften Andeutungen gemeint haben könnte, nämlich die Bildung einer Technokratenregierung: “Mein Gespräch mit `KPV LV` und der Gedankenaustausch über das weitere Handeln ist nicht mit der Karins-Regierung verbunden, das ist eher die Frage, wie danach zu agieren ist. Die Frage ist, ob eine Anzahl von Abgeordneten, eine Gruppe von Abgeordneten die gleiche Ansicht wie wir haben. Meiner Ansicht nach müsste man eine professionelle Person finden, die die Führung der Regierung auf sich nehmen wird und im Idealfall muss das gesamte Parlament diese technische Regierung unterstützen.”


UB 




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