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Lettland: Gegen die SS-Legionäre protestieren diesmal auch deutsche Antifaschisten
14.03.2014


Demonstranten mit Antifa-Plakaten Deutsche Gruppen von Fédératon Internationale des Résistants (FIR) und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) organisieren in diesem Jahr eine Busreise, um am 16. März Riga zu besuchen. Dies ist der Tag der lettischen SS-Legionäre, die nach einer Messe im Dom zum Nationaldenkmal ziehen. In diesem Zusammenhang schrieb Ulrich Schneider, FIR-Generalsekretär, der lettischen Botschaft in Berlin einen geharnischten offenen Brief. Die Mitglieder seiner Dachorganisation protestieren gegen den „Aufmarsch ehemaliger SS-Angehöriger und junger Verherrlicher der Waffen SS“. Es sei unvorstellbar, dass Lettland erlaube, „öffentlich für die Rehabilitierung dieser verbecherischen Traditionen einzutreten“. Es ist fraglich, ob solch stereotyp formulierten Vorwürfe die Botschafterin und die lettische Öffentlichkeit beeindrucken werden. Dazu ein Kommentar...

Antifaschistische Demonstranten an einem 16. März in Riga, Foto: LP

 

Kontraproduktive Polemik

Der FIR-Kritik fehlt die notwendige Trennschärfe. Er dürfte die lettische Abwehrhaltung gegenüber Antifaschisten eher verstärken und kaum zu Gesinnungsänderungen beitragen. Die lettische SS-Legion lässt sich nicht mit der Waffen-SS gleichsetzen. Im Gegensatz zu dieser wurden SS-Legionen vom Nürnberger Tribunal vom Vorwurf freigesprochen, eine verbrecherische Organisation zu sein. Zwar bezeichneten die Nazis ihre SS-Legionen als Freiwilligenverbände, weil nach dem Völkerrecht ausländische Soldaten nicht zum Kriegsdienst gezwungen werden durften, doch nach Ansicht der Historiker wurde die Mehrheit lettischer Legionäre zwangsrekrutiert, um für einen verbrecherischen Angriffskrieg an der Seite der deutschen Wehrmacht verheizt zu werden. Wenn die deutschen Antifaschisten am Sonntagmorgen die Veteranen am Nationaldenkmal erwarten, werden sie vom sogenannten „Aufmarsch“ vielleicht etwas enttäuscht sein. Der Gang der Legionäre ist keine martialische NPD-Demo, auf der rechte Skins Angst und Schrecken verbreiten. Es ist ein stiller Gang von Veteranen, begleitet von unauffällig gekleideten Jugendlichen. Parolen, die Faschistisches einfordern, sind nirgends zu lesen oder zu hören. So war es zumindest in den letzten Jahren, aber der Rummel um den diesjährigen 16. März könnte vielleicht auch tatsächliche Faschisten anlocken.

Fahnenspalier für lettische SS-Legionäre

Fahnenspalier für die Veteranen am lettischen Nationaldenkmal, Foto: LP

 

Der Tunnelblick der SS-Legionäre

Problematisch an der FIR-Polemik ist, dass sie das lettische Urteil über Antifaschisten bestätigt: Potenzielle Krawallmacher, die sich nicht wirklich mit der lettischen Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Dabei ist die Veranstaltung der SS-Legionäre durchaus kritikwürdig. Denn ihre ausschnitthafte antibolschewistische Erinnerungskultur ist einseitig und verdrängt Kollaboration und Mittäterschaft im eigenen Lager. Sie glorifiziert hingegen eine gewonnene Schlacht an der Seite der deutschen Wehrmacht als antibolschewistischen Freiheitskampf. Doch Lettland hätte kein besseres Los erwartet, wenn Hitlers Deutschland den Endsieg errungen hätte. Und der Sieg der Legionäre bedeutete nur, dass Auschwitz noch einige Tage länger betrieben werden konnte.

Polizeipräsenz am 16. März

Stets ist die lettische Polizei massiv präsent, um Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten zu verhindern, Foto: LP

 

Lettische Gesellschaft ist auf dem rechten Auge sehschwach

Die Antifa-Polemik wird Wasser auf den Mühlen lettischer Ignoranz sein, denn die lettische Gesellschaft erweist sich in großen Teilen auf dem rechten Auge als ziemlich sehschwach. Nur so ist zu erklären, dass in der Regierungskoalition Rechtsradikale mitwirken, die in ihrem Programm die Deportation ihrer russischstämmigen Mitbürger fordern. Die Öffentlichkeit nimmt dies als einen alltäglichen demokratischen Vorgang hin. Die Rechtsradikalen haben keine Chance, ihre Ziele bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen durchzusetzen. Aber die fortwährende russophobe Polemik erschwert die Kompromissfindung zwischen den Ethnien. Lettland ist in eine antifaschistisch-prorussische und antibolschewistisch-prolettische Erinnerungskultur gespalten. Knapp ein Viertel Jahrhundert Unabhängigkeit hat nicht ausgereicht, um die ethnischen Gräben zu überwinden und zu einer gemeinsamen Geschichte zu finden.


Weiterer LP-Artikel zum Thema:

16. März: Lettlands spalterischer Gedenktag

Harald Welzer: "Erinnerung hat vielmehr mit der Zukunft zu tun" - Diskussion zur Erinnerungskultur

 

Externer Linkhinweis:

vvn-bda.de: Recht auf Widerspruch wahrnehmen – Proteste in Riga

faz.de: Missbrauchte Lebensläufe




 
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