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Lettland: Ein weiteres Referendum, diesmal zur Staatsbürgerschaft, schürt erneut ethnische Debatten
29.09.2012


Ausweis für Staatenlose in LettlandEs ist gerade ein Jahr her, dass politische Aktivisten rund um den Nationalbolschewisten Wladimir Linderman Unterschriften für ein Referendum sammelten, das bezweckte Russisch als zweite Staatssprache des Landes anzuerkennen. Diese Initiative war von vornherein aussichtslos, weil viele Letten sich noch an die unguten Zeiten der Russifizierung ihres Landes erinnern. Die lettische Unabhängigkeit von 1991 legitimierte sich nicht zuletzt dadurch, die Muttersprache der Mehrheitsbevölkerung im Staat und im öffentlichen Leben endlich wieder zur Geltung zu bringen. Das Referendum zeigte, wie tief die Kluft zwischen den Letten und Russischstämmigen noch ist. Radikale politische Gruppen an den Rändern des politischen Spektrums nutzten die politisch aufgeheizte Stimmung zur Selbstdarstellung. Nun versucht die Initiative Par vienl?dz?g?m ties?b?m/ Für gleiche Rechte abermals eine ethnisch heikle Forderung mittels einer Volksabstimmung durchzusetzen. Sie beabsichtigt, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern, damit staatenlose Einwohner ab 2014 ohne Vorbedingungen den lettischen Pass erwerben können. Tatsächlich ist ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung, etwa 14 Prozent, immer noch ohne behördlich registrierte Nationalität. Meistens handelt es sich um russisch sprechende Immigranten, die in der Sowjetzeit nach Lettland kamen. In der Hauptstadt Riga haben mehr als 20 Prozent der Einwohner keine Staatsangehörigkeit. Am 25.9.12 hat Par vienl?dz?g?m ties?b?m die erste Hürde genommen und der Centr?l? v?l?šanu komisija/ Zentralen Wahlkommission (CVK) mehr als 10.000 gesammelte Unterschriften überreicht. Das berechtigt zur zweiten Runde, zu der die Behörden im ganzen Land, auch in den Botschaften im Ausland, gesetzlich verpflichtet sind, die Unterschriftenaktion fortzusetzen. Doch die CVK hat noch rechtliche Bedenken. Ihre Pressesprecherin Krist?ne B?rzi?a informierte die Nachrichtenagentur LETA zwei Tage später, dass das Referendum für einen Monat gestoppt sei. Die Kommission zweifelt, ob es rechtmäßig ist. Die ihr vorliegenden Gutachten von Staatsrechtlern, unter ihnen eine Einschätzung der Kanzlei des Staatspräsidenten, kommen zu der Einschätzung, dass die bedingungslose Erteilung der Staatsbürgerschaft nicht der Verfassung entspricht.

Lettischer Ausweis für Nichtbürger, Foto: Lettische Wikipedia

 

Des Pudels Kern ist der Sprachkonflikt

Eigentlich handelt es sich bei dieser Debatte um die Fortsetzung des Sprachenstreits. 1991 beschränkte der lettische Gesetzgeber die Staatsbürgerschaft auf jene Einwohner und deren Nachkommen, die bereits im Juni 1940, also vor der Okkupation des Landes durch die Rote Armee, den lettischen Pass innehatten. Damit waren plötzlich etwa 700.000 Einwohner Lettlands, Immigranten aus Russland, Weißrussland, der Ukraine oder aus anderen sowjetischen Regionen unversehens staatenlos geworden. Diese sind als „Nichtbürger“ aber nicht völlig rechtlos: Sie besitzen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Junge staatenlose Männer müssen nicht zur lettischen Armee und Russland gewährt ihnen die visafreie Einreise. Eine aktive politische Beteiligung bleibt ihnen aber verwehrt und sie können keine Berufe ausüben, bei denen der Gesetzgeber die Verständigung in der Landessprache voraussetzt (Z.B. Polizisten, Juristen oder Lehrer). Das ist das Haupthindernis, warum so mancher Russischstämmige nicht lettischer Staatsbürger wird: Mangelnde lettische Sprachkenntnisse, die die wichtigste Bedingung für eine Einbürgerung sind. Das Verfahren, lettischer Bürger zu werden, wurde nach und nach liberalisiert und viele Russischstämmige lernten derweil die Staatssprache Lettisch. Der Anteil der Nichtbürger ging auf etwa 320.000 zurück.

Die 10. Wahl yur lettischen Saeima

Saeima-Wahlen: Nichtbürger dürfen nicht teilnehmen, Foto: LP


Das Schaulaufen politischer Randgruppen

So gelingt es wieder einmal einer politischen Randgruppe, sich mit Maximalforderungen in Szene zu setzen. Die Aktivisten von Par vienl?dz?g?m ties?b?m kooperieren mit der Partei Par cilv?ka ties?b?m vienot? Latvij?/ Für Menschenrechte in einem geeinten Lettland (PCTVL). Diese ist auf nationaler Bühne längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. In Brüssel und Straßburg stellt die PCTVL-Abgeordnete Tatjana Ždanoka die lettische Mehrheitsbevölkerung an den Pranger, unterstellt ihr ethnisches Blockdenken. Die Letten verletzten, so ist in ihren Schriften zu lesen, die Menschenrechte der russischsprachigen Minderheit, die nun unschuldig für die Sowjetherrschaft büßen müsse. Solche Argumente finden im Westen Gehör. Ingrid Schittich von der NGO World Citizen hält beispielsweise den Status „Nichtbürger und Nichtbürgerinnen“ für „haarsträubend“. Nach jüngsten Wählerumfragen scheint die größte Fraktion des lettischen Parlaments, des Saska?as Centrs/ Zentrums der Eintracht (SC), zunächst einmal von der neuesten ethnischen Missstimmung zu profitieren. Doch wie im letzten Jahr sind die SC-Politiker erneut angehalten, im Sinne ihrer russischstämmigen Wählerschaft Stellung zu beziehen. Das erschwert Kompromisse mit den übrigen, lettisch orientierten Parteien, die sich bislang nicht besonders mühten, einen Ausgleich zu finden. Es regieren ja auch Nationalkonservative mit, von denen so mancher Radikale die russischstämmigen Landsleute am liebsten deportiert sähe. SC-Fraktionsvorsitzender Val?rijs Agešins unterbreitete inzwischen einen Vorschlag, um auf eine Volksabstimmung zu verzichten. Das SC wünscht die Staatsbürgerschaft für die Kinder von Staatenlosen, die nach dem 21.8.1991 geboren sind. Außerdem sollen Nichtbürger das kommunale Wahlrecht erhalten. Staatspräsident Andris B?rzi?š wiederum mag zwar das Referendum nicht unterstützen. In einem LNT-Interview vom 4.9.12 fügte er aber hinzu, dass es nicht normal sei, dass nach 20 Jahren Unabhängigkeit immer noch mehrere hunderttausend Einwohner Nichtbürger sind. Doch das Referendum sei nicht die richtige Art, das Problem zu lösen, man müsse andere Wege finden.

 

Weiterer LP-Artikel zum Thema:

Lettland: Vorläufiges Endergebnis der Volksabstimmung - Cirka 25 Prozent für und 75 Prozent gegen Russisch als zweite Staatssprache

 

Externe Linkhinweise:

worldcitizens.de:Schittich, Ingrid (2012): Nach einem Jahr. Nichtbürgerinnen und Nichtbürger in Lettland.

zapchel.lv: Citizens of a non-existing state

columbia.edu: Ieva Gundare - The Museum of the Occupation of Latvia, (1940-1941)

ltv.lv: CVK uz m?nesi atliek «nepilso?u referenduma» jaut?juma izskat?šanu

delfi.lv: SC pl?no uzrun?t visas frakcijas saist?b? ar savu pied?v?jumu nepilso?u jaut?juma risin?šanai

delfi.lv: Paraksti par pilson?bas likuma groz?jumiem nos?t?ti p?rbaudei PMLP




 
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