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Corona: Appelle und erste Maßnahmen der lettischen Regierung
25.03.2020


Krise als Chance?

FroschAls was wird Corona der Menschheit in Erinnerung bleiben? Als Erscheinung des höchst unwahrscheinlichen “Schwarzen Schwans”, wie ihn der Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb beschrieben hatte, ein düsteres Tier, mit dem niemand rechnete und das niemand wahrhaben wollte und das die Welt zur Katastrophe führt? Oder doch ein Ereignis, wie es in “Magnolia” (wikipedia.org) beschrieben wird, im Film von Paul Thomas Andersons aus dem Jahr 1999, als unvermittelt ein biblischer Froschregen die kaputten Beziehungen zwischen den Menschen wieder ins Lot bringt? Es gibt bereits Lichtblicke: Berufe wie Lebensmittelfachverkäuferinnen oder LKW-Fahrer, die selten im Karrieremagazin auftauchen, erweisen sich als systemrelevant und ihre gesellschaftliche Anerkennung steigt. Derzeit gerät vieles ins Wanken. Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins bekannte am 25. März 2020 im LTV-Interview: “Was wir alle begreifen müssen, auch bei der Unterstützung der Unternehmen: Das ist die Dynamik. Auch die Einschränkungen, die möglich sein können, sind dynamisch. Und auch das Gesundheitssystem, wie es arbeitet, ist dynamisch.” Er hofft, dass die Gesellschaft körperlich und seelisch gesund und ökonomisch intakt aus der Krise herauskommt. Die Frage stellt sich allerdings, ob die Gesellschaft - nicht nur in Lettland, sondern im globalen Maßstab betrachtet - vor Corona überhaupt gesund war. Hier zeigt sich eine erste Weggabelung: Heißt “gesunden”, den ökonomischen und sozialen Zustand vor Corona möglichst schnell wieder herzustellen? Dass der Feinstaub möglichst schnell wieder die Städte im üblichen Maß verschmutzt und das Prekariat, das jetzt die Versorgung sicherstellt, sich weiterhin mit schlecht bezahlten und ungesicherten Jobs begnügen soll? Das scheint sich der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier zu wünschen. Er kann es offenbar kaum erwarten, zur “Schwarzen Null” (und der ihr zugrundeliegenden, nur scheinbar alternativlosen monetaristischen Politik) zurückzukehren. Oder ist Corona die Chance, vieles zu verbessern, humaner und solidarischer zu gestalten, was bislang unter dem Mehltau der Sachzwänge verborgen blieb? Werden sich wie in der Finanzkrise vor zehn Jahren reiche Interessengruppen durchsetzen und der Gesellschaft ihre Rechnung präsentieren? Oder gelingt es den politischen Entscheidungsträgern diesmal, sich von ihnen zu emanzipieren und sich im Sinne Jean-Jacques Rousseaus am Volonte generale, also am Allgemeinwohl zu orientieren?

Foto: Holger Gröschl - http://www.naturspektrum.de/ns1.htm, CC BY-SA 2.0 de, Link

Dialog mit der gesamten Gesellschaft

In einem offenen Brief an Karins` Kabinett und an die Saeima forderten vier Lobbyverbände, die sich im lettischen Jargon als “Sozialpartner” betrachten (obwohl sie teils entgegengesetzte Interessen vertreten) dazu auf, das Krisenmanagement zu verbessern und proaktiv zu handeln. Man müsse von den Erfahrungen anderer Länder lernen und auch aus der letzten Finanzkrise. Aigars Rostovskis, Vorsitzender der Lettischen Industrie- und Handelskammer, fordert: “Diesmal muss man schnell, mutig und entschlossen handeln. Die Krise muss professionell bewältigt werden, statt erst auf die durch sie verursachten Folgen zu reagieren.”

Vitalijs Gavrilovs (Arbeitgeberverband), Gatis Kaminiskis, (Verbandes Lettischer Kommunen) und Egils Baldzens, (Dachverband Lettischer Gewerkschaften (LBAS)), unterzeichneten den Brief ebenfalls. Sie alle scheinen derzeit bereit, zugunsten des Allgemeinwohls zu handeln (lvportals.lv). Baldzens appelliert: “Die Covid-19-Krise lehrt uns, solidarisch zu sein und die Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auszugleichen, um die unmissverständliche gesellschaftliche Unterstützung für die Krisenbewältigung zu gewährleisten, der soziale Dialog und effektive Diskussionen sind nicht nur auf der Ebene der Unternehmen, Behörden und Branchen entscheidend und bedeutsam, sondern diesmal ist der Dialog in einem größeren Umfang noch wichtiger, der die gesamte Gesellschaft und den Staat umfasst. Das ist die Basis für eine erfolgreiche Strategie, um die Krise zu bewältigen. Dass uns das gelingen möge.”

 

Erste Maßnahmen

Die Regierung scheint zum Handeln bereit: Sie plant eine Art Kurzarbeitergeld, um Entlassungen zu verhindern. Lohnabhängige, die derzeit in Betrieben ohne Umsatz beschäftigt sind, sollen 75 Prozent ihres Lohns vom Fiskus beziehen, bis zu einer Höhe von 700 Euro. Allerdings ist dieses Angebot bislang auf bestimmte Branchen beschränkt.

Sozialministerin Ramona Petravica, die zu Beginn ihrer Amtszeit erst einmal Dauer und Höhe des Arbeitslosengeldes kürzte (LP: hier), erwägt nun, diese staatliche Sozialleistung auf ein Jahr zu verlängern und zu erhöhen. Betriebe, die vor Corona teils im Krisenmodus wirtschafteten, aber jetzt die vielen neuen Aufträge kaum noch bewältigen können, z.B. Fischkonservenfabriken, appellieren an Firmen, denen die Arbeit ausgeht, ihre Arbeiter zu überlassen. Der Spirituosenhersteller Latvijas Balzams kündigte an, Desinfektionsmittel herzustellen.

Gesundheitsministerin Ilze Vinkele vermag zwar immer noch nicht, den Medizinern die einst zugesagte Gehaltserhöhung um 20 Prozent zuzugestehen, doch immerhin will sie das Gehalt jener Ärzte um die Hälfte erhöhen, die an vorderster Front gegen Covid-19 ankämpfen. Es scheint sich etwas zu bewegen in der lettischen Gesellschaft, doch noch ist nicht abzusehen, wohin die Entwicklung führt, weder national noch international. Allenthalben blockiert noch nationalistischer Eigennutz solidarisches Handeln, bei unangekündigten Grenzschließungen, Gerangel um Schutzmasken oder der Krisenfinanzierung, aber das ist ein anderes Thema.




 
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