Latviešu Centrs Minsterē

   

Tschernobyl in Lettland - Blumen für Lenin
04.05.2006


Der GAU des Atomkraftwerkes Tschernobyl nahe der Stadt Prypjat in der heutigen Ukraine am 26. April 1986 veränderte schlagartig die Welt. In Westeuropa sickerten die ersten Nachrichten über die Katastrophe erst einige Tage später durch. Die russische Regierung gab zwei Tage nach der Explosion des Reaktors eine kurze Verlautbarung in der Prawda heraus. Und die Letten? Wann und wie wurden sie eigentlich informiert? Was haben sie getan? Die Lettische Presseschau fragte unsere Außenkorrespondentin und Zeitzeugin Rita Dzene, die damals 34 Jahre alt war auf dem lettischen Land lebte. 

LP: Frau Dzene, können Sie sich noch dran erinnern, wann Sie zuerst davon hörten, dass in Tschernobyl ein Unfall in einem Atomkraftwerk stattgefunden hat?

 

Rita Dzene: Erst am 3. Mai haben wir das mit Tschernobyl in den Nachrichten gehört. Im Radio. Es wurde so dargestellt, dass irgendwo im fernen Russland etwas passiert ist und das Ganze nichts mit uns zu tun hätte.

 

LP: Bekamen Sie dann Angst?

 

Rita Dzene: Nein, gar nicht. Wir Normalbürger in Lettland haben überhaupt nicht verstanden, wie gefährlich das alles ist. Uns wurde doch nichts gesagt. Alles war ganz normal. Wir haben weiterhin unsere Felder bestellt, die Saat ausgetragen und sind unseren anderen Landarbeiten nachgegangen. Überhaupt wurde alles so präsentiert, als würde uns das alles gar nicht betreffen. Irgendwo, weit weg in der Ukraine vielleicht, aber uns doch nicht.

 

LP: So weit ist die Ukraine ja auch wieder nicht von Lettland entfernt. Das heißt, Sie haben erst nach 6 Tagen vom Unglück erfahren, warum so spät, was meinen Sie?

 

Rita Dzene: Na denken sie wohl. Die Regierung wollte keine Panik verbreiten. Der 1.Mai stand bevor. Wir sind alle brav zum Lenindenkmal marschiert und haben Blümchen hingelegt….das haben wir gemacht.

 

LP: Sie wurden auch nicht später gewarnt, keine Waldfrüchte oder Pilze zu essen? Keinerlei  Verhaltensregeln für die Bürger, wenigstens Strahlenmessungen?

 

Rita Dzene: Ich sage es Ihnen doch. Nein, überhaupt nichts dergleichen. Keine Strahlenmessungen , überhaupt nichts. Ich erinnere mich nur, dass diejenigen, die mal in der Armee gedient hatten, etwas unruhig wurden. Die wussten wohl, was da passiert sein könnte und wie gefährlich so ein Unfall auch für die Umwelt ist. Eine gute Freundin, die sich in den Tagen des Unglücks regelmäßig gesonnt hatte, verlor kurz danach alle ihre Haare.

 

LP: Wie bitte, sie verlor ihre Haare?

 

Rita Dzene: Ja, sie ist jetzt noch kahl. Sie meint, sie hätte dies wegen Tschernobyl erlitten. Richtig krank geworden ist sie aber nicht. Soweit ich weiß, ist sie in den Frühlingstagen in Riga immer auf das Dach ihres Mietshauses geklettert, um ein bisschen Farbe zu bekommen. Plötzlich waren alle Haare weg. Von einem Tag auf dem anderen.

 

LP: Aha, und was ist in der Folgezeit bei ihnen in Stalgene geschehen.

 

Rita Dzene: Viele Dorfbewohner wurden eingezogen oder meldeten sich freiwillig, um an der Unfallstelle zu helfen. Vor allem Maurer und Bauarbeiter wurden benötigt. Selbst mein Mann, der früher Kompaniearzt in der Sowjetarmee war, wurde eingezogen. Glücklicherweise wurde er dann nicht benötigt und durfte doch zu hause bleiben. Mehr ist nicht passiert.

 

LP: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dzene

 

Fakten:

Für die Beseitigung der Folgen in Tschernobyl haben 6000 Männer aus Lettland als Liquidatoren geholfen; 5300 von ihnen waren damals zwischen 20-35 Jahre alt. Bei den meisten handelte es sich um Armeereservisten. Sie wurden von der Armee eingezogen; von 130 Offizieren  die aktiv zu dieser Zeit gedient haben, sind heute nur noch 67 am Leben.

-JvR-



 
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