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Die Re:Baltica-Redaktion recherchiert das Vermögen sanktionierter russischer Milliardäre
24.03.2022


Behörden mit der Erfassung des Vermögens überfordert

Alisher Usmanow erhält von Wladimir Putin einen Orden, Foto: Kremlin.ru, CC-BY 4.0, Link

Viele Sanktionsforderungen gegen Russland sind umstritten. Weitgehende Einigkeit besteht in der Öffentlichkeit offenbar, wenn es um die Sanktionierung sogenannter “Oligarchen” Putins geht. Das lettische Recherche-Team Re:Baltica, das Teil eines internationalen journalistischen Netzwerks ist, ermittelte das lettische Vermögen russischer Millionäre und Milliardäre, die sich auf Sanktionslisten befinden. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so leicht ist, ihren Besitz auszukundschaften, denn die lettischen Behörden sind darauf nicht vorbereitet.


Nach dem Giftanschlag auf Alexei Nawalny veröffentlichte seine Antikorruptionsstiftung im Februar 2021 die Liste “Nawalny35”. Sie führte reiche Russen auf, die sich im Umkreis Wladimir Putins befinden sollen und die Nawalny für den Anschlag auf seine Person mitverantwortlich machte. Die Journalisten erweiterten den Personenkreis um Verwandtschaftsbeziehungen ersten Grades und kommen mittlerweile auf 170 Namen. Nach der russischen Invasion erschienen neue Sanktionslisten der EU, der USA und anderer Länder, so dass nun weitere Russen um ihre Villen, Jachten und Flugzeuge im westlichen Ausland bangen müssen.


Doch die genauen Besitzverhältnisse zu ermitteln stellte sich als komplizierte Recherchearbeit heraus. Oftmals sind die sanktionierten Personen nicht unmittelbar Besitzer; formal sind ihre Güter Eigentum einer Firma oder sie gehören einem Verwandten. Dennoch gelang es dem internationalen Rechercheteam, bislang 145 Immobilien zu ermitteln, die mit einem Wert von 17 Milliarden US-Dollar beziffert werden. Das sei erst der Anfang, meint Re:Baltica-Redakteurin Sanita Jemberga (rebaltica.lv). Sie nannte die Hindernisse bei der lettischen Recherche: Die Daten ständen nur dezentral zur Verfügung; in den Handelsregistern sei es schwierig, die wahren Nutznießer von Firmen ausfindig zu machen; bei den Grundbüchern ließe sich der Besitz nur mit Kenntnis von Adresse oder Katasternummer, aber nicht mit Namen ermitteln. Das lettische Behördenwissen über russisches Eigentum sei fragmentarisch, obwohl der Gesetzgeber, als er dem russischen Kapital noch gewogen war, Russen das “goldene Visum” ermöglichte: Reiche Bürger aus den GUS-Ländern sollten in Lettland investieren und dafür mit einem Aufenthaltsrecht belohnt werden. Etwa 19.000 Bürger aus anderen Ländern, die einst zur Sowjetunion gehörten, erhielten ein Aufenthaltsrecht, vom unabhängigen Journalisten bis zum Staatsbediensteten. Doch die Hoffnungen, mit Kapital aus den GUS-Staaten zur Schweiz des Ostens aufzusteigen, sind mittlerweile verflogen: Lettische Banken dienten häufig nur als Zwischenstation, um Schwarzgeld in Steueroasen zu schleusen, zudem erhöhten die USA den Druck auf Lettland, um für mehr Transparenz bei den Bankkunden zu sorgen.


Die lettische Hochburg für reiche Russen ist der Rigaer Vorort Jurmala, der mit knapp 50.000 Einwohnern immerhin die fünftgrößte lettische Stadt bildet. Der Ort hat kein historisches Zentrum, sondern besteht aus einer Aneinanderreihung luxuriöser Siedlungen auf einer lang gestreckten Halbinsel zwischen dem Fluss Lielupe und der Ostsee. Zwischen Kiefernhainen verbergen sich üppige Villen auf großen Grundstücken hinter Mauern, Zäunen und Überwachungsanlagen. Hier machte Re:Baltica ein Anwesen von Irina Winer-Usmanowa ausfindig (rebaltica.lv). Die Gymnastiktrainerin ist Leiterin des russischen Nationalteams. Reich wurde sie durch ihre Heirat mit Alisher Usmanow, einem vielseitig tätigen Großunternehmer im Umfeld Putins, der auf der EU-Sanktionsliste steht. 2014 kaufte seine Ehefrau und deren Sohn Natan Winer in Jurmala ein Areal mit Villa und Nebengebäuden unweit vom Meer. Derzeit ist die Immobilie im Besitz des Schwiegersohns. Eine Viertelstunde Autofahrt entfernt befindet sich das Anwesen von Usmanows Schwester Gulbakhora Ismailova. Jemberga beschreibt ihre Immobilie als typische Erscheinung Jurmalas, sie habe die Wohnung im Wert einer halben Million Dollar im Mai 2014, kurz nach der Krim-Annexion, erworben. Es sei ein typischer Kauf einer Inhaberin eines “goldenen Visums”, an der ganzen Straße reihten sich Gebäude dieser Art: “Weiß-braun-beige Häuser, große Panoramafenster, auf Veranden und Balkonen erwarten Sonnenliegen den Sommer, doch im Winter sieht man auf den verschneiten Wegen am Haus keine Fußspur.”


Re:Baltica ermittelte weitere schwerreiche russische Familien, deren Oberhäupter auf den Sanktionslisten stehen. Maija Bolotova ist die Tochter von Nikolay Tokarev, einem Putin-Vertrauten aus gemeinsamen Dresdener KGB-Tagen. Jetzt leitet Tokarev den Staatskonzern Transneft, der die Ölpipelines Russlands betreibt. Maija Bolotova kaufte 2015 eine 185 m² große Wohnung in Jurmala, die sie inzwischen ihrem Mann überschrieben hat. Außerdem gehörte Bolotova über eine inzwischen aufgelöste Firma eine luxuriöse Immobilie in der Rigaer Altstadt. In diesem Gebäude besitzt Nikita Mazepin eine 101 m² große Wohnung, die mehr als 700.000 Euro wert ist. Der 23-jährige war bis zu Kriegsbeginn mäßig erfolgreicher Formel-1-Rennfahrer im Haas-Team, der durch rücksichtsloses Benehmen auffiel. Er und sein Vater Dmitri Mazepin stehen auf der EU-Sanktionsliste. Der Vater wurde mit dem Vertrieb von Düngemitteln reich. Seiner Firma Ventamonjaks gehört ein Düngemittelterminal im Rigaer Hafen, das aufgrund der Sanktionen nicht verkauft werden darf. Weitere sanktionierte Oligarchen mit Besitz in Lettland sind Pjotr Awen, Michail Fridman und Arkady Rotenberg. Re:Baltica berichtet, dass die lettischen Behörden Zeit benötigten, um ihre Bankvermögen und Firmenanteile zu pfänden und ihre teueren Fahrzeuge zu beschlagnahmen. Die Sanktionierten dürfen ihre Immobilien noch selber nutzen, aber nicht vermieten oder verkaufen. Ein Aufenthalt wäre allerdings misslich, weil wegen des Ausschlusses Russlands aus dem SWIFT-System kein Zugriff auf russische Konten besteht.


Auch der wohl bekannteste russische Oligarch, Roman Abramowitsch, dem der britische Fußballclub FC Chelsea gehört und der wegen seines Lebensstils den größten ökologischen Fußabdruck des Planeten aufweist, muss wegen der Sanktionen den Verlust seines Geschäftsflugzeugs, einer Bombardier Global 6000, hinnehmen. Drei Tage nach Kriegsausbruch war es in Riga gelandet und erhält nun keine Starterlaubnis mehr. Es steht neben einem Hubschrauber von Pjotr Awen, der ebenfalls beschlagnahmt wurde. Mit einem Wert in zweistelliger Millionenhöhe ist die Bombardier ein eher schlichtes Transportmittel in Abramowitschs Fuhrpark. Seine Megajachten sind buchstäblich ein anderes Kaliber: Die von der Werft Blohm und Voss gebaute Eclipse ist sogar für den Einbau eines Raketenabwehrsystems präpariert. Die Eclipse und die ähnlich neofeudal ausgestattete Solaris, deren Gesamtwert auf eine Milliarde Euro geschätzt wird, ließ Abramowitsch in der Türkei in Sicherheit bringen, weil sich das Land nicht an den Sanktionen beteiligt (youtube.de).


Re:Baltica zitiert das US-Finanzministerium, das über die russischen Herrschaftsverhältnisse harsche Worte findet. Demnach nutzten diejenigen, die Putin nahestehen, ihren privilegierten Status, um den russischen Staat auszurauben und Familienangehörige auf Kosten russischer Einwohner in höchste Machtpositionen zu hieven. Sanktionierte Oligarchen und die Vertreter der einflussreichen Elite benutzten Familienmitglieder, um Vermögenswerte zu überschreiben und ihren Reichtum zu verbergen.


Die Kritik des US-Finanzministeriums wirkt ebenso berechtigt wie einseitig - als ob Hyperreiche nicht auch ein Problem des Westens darstellten (unter den zehn reichsten Menschen der Welt befindet sich kein einziger Russe). Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty nennt den Grund, weshalb es lettischen Behörden schwerfällt, den Reichtum zu ermitteln: Es fehlt ein internationales Finanzregister, das sämtlichen Reichtum erfasst. Bislang seien Sanktionen gegen Reiche häufig nur symbolisch, weil sie mit Strohmännern umgangen werden könnten. In Russland schätzt Piketty die Anzahl der Multimillionäre, die Putins Herrschaft stützen, auf zirka 20.000 Personen, die jeweils mehr als 10 Millionen Euro besitzen, mehr als die Hälfte ihres Vermögens befinde sich im westlichen Ausland. Das ließe sich hoch besteuern und beschlagnahmen, wenn den Behörden entsprechende Daten vorlägen. Piketty argumentiert, dass die Reichen des Westens kein Interesse an der transparenten Erfassung ihres Besitzes haben. Sie könnten bei der Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse und ihres fragwürdigen Einflusses auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft selbst in die Kritik und auf Sanktionslisten geraten. Der Gegensatz zwischen “Demokratien” und “Autokratien” werde übertrieben, weil westliche Länder mit Russland und China eine “hyperkapitalistische Ideologie” sowie ein “rechtliches, steuerliches und politisches System” teilten, das große Vermögen begünstige. In Europa und den USA werde alles getan, um “verdienstvolle westliche `Unternehmer` von schädlichen und parasitären russischen, chinesischen, indischen oder afrikanischen `Oligarchen` zu unterscheiden. Doch in Wahrheit haben sie viel gemeinsam. Das starke Gedeihen von Multimillionären auf allen Kontinenten seit den 1980er und 1990er Jahren lässt sich zum Großteil durch die gleichen Faktoren erklären, insbesondere durch die Vorteile und Privilegien, die ihnen eingeräumt wurden. Die freie Bewegung von Kapital ohne steuerlichen und anderen Ausgleich für die Gemeinschaft ist langfristig ein unhaltbares System,” meint Piketty (freitag.de).


UB 




 
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