Lettisches Centrum Münster e.V.

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Künstlerin Ieva Epnere erinnert an die Reformpädagogin Marta Rinka
09.09.2021


Bücher aus dem Altpapierhaufen eines deutschen Schulhofs werden im Gedenkmuseum eines lettischen Schriftstellers aufbewahrt, der Besitzerstempel offenbart den Grund

Marta Rinka, Foto: Fair use, Saite

Letten und Deutsche haben viele historische Bezüge, die in Vergessenheit geraten sind. Dazu gehört das Leben und Wirken der Kinderpädagogin Marta Rinka. Sie gilt als “Mutter der lettischen Kindergärten”. Im Jahr 1900 gründete sie eine Vorschule und einen Hort für Arbeiterkinder. Zwischen 1906 und 1908 vervollständigte sie ihre Fachkenntnisse am Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus. 1944 floh sie vor den sowjetischen Besatzern nach Deutschland, emigrierte wenige Jahre später in die USA, wo sie 1953 starb. Ieva Epnere beschäftigt sich mit der bekanntesten Erzieherin Lettlands (lcca.lv). Sie suchte die Wirkungsstätten auf, erinnert mit ihrer Kunst an die frühe lettische Pädagogik. Im Rahmen des Festivals Survival Kit 12 erkundete sie Rinkas Beziehung zum Schriftsteller Andrejs Upits, dessen Wohnung im Eckhaus an der Brivibas iela 38 seit den siebziger Jahren als Museum zugänglich ist.


Marta Rinka wurde 1880 als ältestes von acht Kindern eines lettischen Sägewerkbesitzers in Rigas nördlichem Stadtviertel Milgravis geboren. Dort traf auf sie auf einen weiteren lettischen Unternehmer in dieser Branche, Augusts Dombrovskis. In einer paternalistischen Gesellschaft waren Frauen auf die Förderung von Männern angewiesen. Dombrovskis finanzierte ihr im Jahr 1900 die “Grüne Schule” in ihrem Viertel, damit die Kinder seiner Arbeiter Betreuung finden. “Grün” war nicht nur der Name und die Farbe der Schule, die Begegnung mit der Natur war Teil ihrer Pädagogik, ihr “Kindergarten” war in der Tat eine Stätte des Gärtnerns. Nach der Revolutionszeit von 1905/06 fürchtete Rinka, Opfer von russischen Strafexpeditionen zu werden und floh für zwei Jahre nach Berlin. Dombrovskis finanzierte ihr diesen Aufenthalt. 


Die Grüne Schule war ein stattlicher Holz-Komplex auf einer Anhöhe zwischen Dünen, dem ein tempelartiger Rundbau angegliedert war. Hier sollten die Arbeiterkinder spielen und lernen, bzw. spielend lernen. Zur Jahrhundertwende nahm Rinka bereits 70 Kinder auf und erprobte die pädagogischen Grundsätze Friedrich Fröbels und Maria Montessoris. Auch Waisenkinder fanden hier eine Bleibe. Mit Dombrovskis war sie in einem weiteren Projekt verbunden. Sie war Mitglied im Förderverein für den Kulturpalast “Ziemelblazma”, der auf Initiative des befreundeten Mäzens errichtet wurde (zunächst als Holzgebäude, das 1906 eine zaristische Strafexpedition niederbrannte, bei diesem Racheakt musste Dombrovskis an einem Baum angebunden zusehen, danach in der heute noch benutzten brandsicheren Beton-Stahl-Konstruktion, die 1913 eröffnet wurde (delfi.lv)). Veranstaltungen, Bildungsangebote und der Abstinenzlerverein des Kulturpalasts sollten die Arbeiter davon abbringen, die Freizeit mit Alkoholkonsum zu verbringen. Hier organisierte Rinka die ersten stadtweiten Kinderfeste. Ihre denkmalgeschützte “Grüne Schule” haben 2006 Brandstifter zerstört. 


Rinkas Beziehung zum deutlich älteren und verheirateten Dombrovskis blieb für Außenstehende unklar; ähnlich rätselhaft ihr Verhältnis zum Dichter Andrejs Upits, den sie im Umfeld des Mäzens kennenlernte und der sich von ihr 1902 zu seinen Frühlingsliedern inspirieren ließ. Ieva Epnere hat sich auf die Spuren von Rinkas Leben und Werk begeben. Upits` Wohnung ist eine Stätte des 12. Survival-Kit-Festivals. Ende der siebziger Jahre überreichte die Lehrerin Olga Ziemele dem Upits-Museum fünf Bücher, die sie in einem Altpapierhaufen auf einem deutschen Schulhof gefunden hatte, auf der ersten Seite waren sie mit dem Stempel der ehemaligen Besitzerin versehen: Marta Rinka. Seitdem beherbergt das Museum fünf Bücher in deutscher Sprache: eine Essay-Sammlung der schwedischen Reformpädagogin (und Eugenikerin) Ellen Key sowie gesammelte Werke Schillers und Lessings. In welchem Verhältnis befand sich Rinka mit Upits, der in der Sowjetunion Erfolg hatte, während sie fliehen musste?


Solche Fragen inspirierten Epnere zu ihrem Projekt “Das erste Geschenk”. Im Upits-Museum brachte sie eine Reihe von Exponaten unter, die auf Rinkas interkulturelle Bezüge und persönliche Beziehungen hinweisen. Bereits auf dem 9. Survival Kit 2017 hatte sie sich mit ihr beschäftigt. Epnere hielt sich im letzten Jahr als Stipendiatin des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin auf und beteiligte sich mit ihrer Arbeit zu Rinka an der Ausstellung “And that Song Is Our Amulet” in der Galerie Wedding (pfh-berlin.de).

UB 





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