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EU-Wahl in Lettland 2019 - Die siegreichen Parteien
27.05.2019


Viele Veränderungen, aber keine Überraschungen

EU-Parlament in StraßburgDie Wahl zum Europaparlament war in Lettland keine „Schicksalswahl“ und gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten hat sich zum Wahllokal begeben. Die Klimapolitik, die in Deutschland heftige Turbulenzen verursacht, ist für den lettischen Wähler kein entscheidendes Thema. Auch der rasante Auf- und Abstieg einzelner Parteien hat in Lettland keine Eilmeldungen oder Sondersendungen zur Folge. Im hiesigen instabilen Parteienspektrum gehören solche heftigen Schwankungen zum politischen Alltag. Neue Parteien, die wie die KPV (Wem gehört das Land) bei der letzten Saeima-Wahl noch stattliche Wahlerfolge erzielten, erweisen sich schnell als Luftnummer und werden abgestraft. Die Nationale Allianz legt zu und kann nun zwei Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel entsenden. Als Phönix aus der Asche erweist sich die Partei des Ministerpräsidenten Krisjanis Karins, Jauna Vienotiba, die mit Valdis Dombrovskis auch den lettischen EU-Kommissar stellt: Nach heftigen innerparteilichen Querelen schaffte sie im letzten Oktober nur knapp den Wiedereinzug in die Saeima - und erntete jetzt mit 26,2 Prozent die meisten Wählerstimmen. Es folgt eine Skizzierung jener Parteien, die den Einzug ins EU-Parlament geschafft haben.

EU-Parlament in Straßburg, Foto: Von Diliff - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

 

Jauna Vienotiba vervierfachte ihren Stimmenanteil im Vergleich zur letzten Saeima-Wahl. Die liberalkonservative Partei wird im EU-Parlament von Valdis Dombrovskis und Sandra Kalniete vertreten. Dombrovskis ist in Brüssel auch Mitglied der noch amtierenden Juncker-Kommission und für die Bereiche Euro, sozialer Dialog, Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion zuständig. Europaweit bekannt wurde er 2009, als er in der Finanzkrise, die für Lettland schwere Folgen hatte, das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Er reagierte damals mit „innerer Abwertung“ auf die Krise, also mit drastischen fiskalischen Kürzungen, die für einige Jahre Erwerbslosigkeit und Emigration ebenso drastisch steigerten. Als EU-Kommissar beklagte er vor einem Jahr allerdings die soziale Ungleichheit und den Spalt zwischen Armen und Reichen in seinem Land (LP: hier). Er setzt sich für mehr EU-Direktzahlungen für lettische Landwirte ein, die im Durchschnitt weniger erhalten als ihre Konkurrenten. Außenpolitisch plädiert er für einen harten Kurs gegen Russland: Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zählt er zu den maßgeblichen Fragen seines Landes, "damit die EU geeint ein Gegengewicht zur aggressiven russischen Außenpolitik bildet“. Er befürwortet die Zusammenarbeit der EU mit der NATO und Partnerstaaten im Osten. Er plädiert für die Verbreitung eigener Nachrichten, „um Russlands aggressive Außenpolitik zu begrenzen und Europas Demokratien vor Manipulationen mit gefälschten Nachrichten zu bewahren.“ (lsm.lv)

 

Saskana ist nicht mehr die Nummer eins unter den Wählern. Die Sozialdemokraten, die ein Sammelbecken für die russischstämmige Wählerschaft bilden, waren in letzter Zeit in Korruptionsaffären verwickelt, über die lettische Medien ausführlich berichteten (LP: hier). Jüngst wurde EU-Spitzenkandidat Nils Usakovs von Regionalminister Juris Puce als Bürgermeister Rigas geschasst, weil er den städtischen Verkehrsbetrieb, der in einen Bestechungsskandal verwickelt ist, nicht genügend beaufsichtigt habe (LP:hier). Dennoch zeigt sich Usakovs zufrieden, denn erstmals stellt seine Partei zwei Abgeordnete im EU-Parlament. Sein ehemaliger Stellvertreter und Koalitionspartner Andris Ameriks kandidierte diesmal ebenfalls für Saskana und wird nun Usakovs nach Straßburg begleiten. Die Bestrebungen, seine Partei zu dämonisieren, seien verpufft, meinte Usakovs, der auch Saskana-Vorsitzender ist. Insgesamt zieht er ein positives Fazit aus seiner Zeit als Rigaer Bürgermeister, auch wenn er „Fehler“ eingesteht. Nun will er in Brüssel einerseits lettische Interessen vertreten, sich zum anderen für ein starkes, geeintes und sozial verantwortliches Europa einsetzen (lsm.lv). Saskana will, dass Europa die „neoliberalen und konservativen Modelle der Vergangenheit“ verlässt. Die EU solle unverzüglich die „strikte Sparpolitik“ beenden, um wieder internationale Investitionen zu ermöglichen. Zudem fordern die Sozialdemokraten mehr Zusammenarbeit im sozialen Bereich, um Mindestlöhne, Mindestrenten und Minimaleinkommen auf EU-Ebene festzulegen. Außerdem will sie Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus bekämpfen (cvk.lv).

 

Nacionala apvieniba (NA) ist ebenfalls erstmals mit zwei Abgeordneten vertreten, dem langjährigen EU-Abgeordneten Roberts Zile und Dace Melbarde, die bislang Kulturministerin war. Beide gehören zum gemäßigten Flügel der nationalkonservativen Parteienallianz, der auch Rechtsradikale angehören. Die NA betreibt in der Migrations- und Flüchtlingsfrage ähnliche Propaganda wie die deutsche AfD (LP: hier), innenpolitisch die Assimilation der russischsprachigen Minderheit. Im Gegensatz zu westlichen Parteien dieser Art ist die NA ein entschiedener Gegner der russischen Regierung und befürwortet die EU-Sanktionspolitik gegen den großen Nachbarn. Zile möchte die Finanzierung des Eisenbahnprojekts Rail Baltica sicherstellen (LP: hier) und dafür sorgen, dass die EU für sein Land mehr Geld aus dem Kohäsionsfonds und bei Agrarsubventionen bereitstellt. Unausgesprochen gegen Frankreich und mehr noch gegen Deutschland gerichtet ist sein Bestreben, einzelnen Ländern nicht zu gestatten, Macht über andere zu „usurpieren“. Als Grundstein der EU betrachtet Zile den gemeinsamen Binnenmarkt. Wie die nationalistischen Parteien Westeuropas möchte die NA die Kompetenzen der EU weitgehend auf den Markt und freien Wettbewerb begrenzen und Soziales in nationaler Zuständigkeit belassen. Die NA bekennt sich bedingungslos zur NATO, zur transatlantischen Zusammenarbeit und wendet sich gegen Pläne für eine gemeinsame EU-Armee. Sie will „starke“ EU-Außengrenzen, um „Massenimmigration“ aus Drittstaaten zu verhindern. Die EU soll ein Programm ausarbeiten, um die EU-Binnenmigration zu vermindern. Die Nationalkonservativen bekennen sich zu einem Europa „konservativen Intellekts und Kultur“, in der es unterschiedliche Traditionen gebe. Sie zitieren einen Satz des EU-Ahnen Robert Schumann, nach der es innerhalb der Gemeinschaft eines Volkes nur eine Zivilisation geben könne (cvk.lv).

 

Attistibai/Par! (AP) Nach dem Erfolg bei der Saeima-Wahl kann das neue liberale Parteienbündnis auf Anhieb auch einen Sitz in Straßburg erringen. Diesen wird Ivars Ijabs einnehmen, der bislang zwar keine Politik machte, sie aber als Politologe in den lettischen Medien ausführlich kommentierte. Als Schwerpunkt seiner zukünftigen Arbeit zitiert er aus dem AP-Programm. Die EU solle in Lettlands Humankapital investieren: Ausbildung, Wissenschaft, Innovationen, damit der Brain Drain aus seinem Land gestoppt werde. Zudem soll die EU als „Sicherheitsunion“ fungieren, um Bedrohungen aus dem Inneren und Äußeren abzuwehren, wobei „Populisten und Euroskeptiker“ als innere Gefahr genannt werden. Im sozialen Bereich vertritt AP einige Positionen, die eher links- als rechtsliberal klingen: Sie fordert eine internationale Arbeitslosenversicherung, ein einheitliches Rentensystem, das innereuropäische Migranten nicht benachteiligt sowie einheitliche Einkaufspreise für Medikamente. Für die Zukunft sieht Ijabs folgende Herausforderungen: Die Unterschiede zwischen den Teilnehmerstaaten und Regionen und deren politische Folgen; Versuche, Europa von außen zu spalten; die Wettbewerbsprobleme der EU auf globaler Ebene, insbesondere im digitalen Bereich. Es wachse die Forderung nach einer Demokratisierung Europas von einer Eliten- zu einer Bürgergemeinschaft. Außenpolitisch steht die AP für eine strikte Zusammenarbeit zwischen EU und NATO mit integrierenden Strukturen, auch auf nichtmilitärischem Gebiet (lsm.lv).

 

Latvijas Krievu Savieniba (LKS) konnte ihren Sitz verteidigen, den deren streitbare Mitvorsitzende Tatjana Zdanova einnimmt. Wegen des ukrainisch-russischen Konflikts 2014 stritt sie sich mit Rebecca Harms. Die Politikerin von Bündnis90/Die Grünen wollte ihre Parteifreundin aus der gemeinsamen Fraktion der Grünen/EFA ausschließen (LP: hier). Die LKS ist nach Saskana die zweite Interessenvertreterin der russischsprachigen Minderheit und vertritt deren Ziele kompromissloser, auch unversöhnlicher. Auf EU-Ebene tritt die Partei für eine Stärkung der Regionen und Gemeinden und für eine Schwächung nationaler Regierungen ein. Sie fordert eine finanzielle EU-Unterstützung für Mediziner, Lehrer und sonstige Spezialisten, um den Brain Drain und die EU-Binnenmigration zu stoppen. Die Emigration der Fachkräfte erklärt sich für LKS dadurch, dass Lettland „objektiv“ unter den Bedingungen eines deregulierten Marktes nicht konkurrieren könne. Andererseits bewahre die EU „protektionistische Maßnahmen“ im Interesse der Unternehmen in den reicheren Mitgliedstaaten. Die Partei fordert mehr kulturelle Autonomie für ethnische Minderheiten. Sie sollen die Unterrichtssprachen in ihren Schulen selbst bestimmen (derzeit betreibt die lettische Regierung das Gegenteil). Die LKS setzt sich für eine Sozialunion ein, welche die Steuern zwischen den Mitgliedstaaten harmonisiert und bei Gehältern, Pensionen und Sozialleistungen Zuschüsse gewährt. Die EU soll sich auch im Bildungsbereich engagieren, dafür fordert die Partei ein höheres EU-Budget. Ein vereinheitlichtes Rechtssystem soll Diskriminierung und Korruption auf nationaler Ebene verhindern. Die gegenwärtige EU-Politik erscheint der LKS als Heuchelei: „Die EU muss sich von ihren doppelten Standards im Bereich der Menschenrechte lösen und Rechte und Freiheiten vor allem auf dem eigenen Territorium gewährleisten und erst danach sollte man andere Staaten kritisieren.“ Ökologisch teilt die LKS die Ziele der grünen Parteien, den Kampf gegen die Klimaerwärmung sowie gesunde Umwelt und Artenvielfalt. Außenpolitisch möchte sie eine Verständigung mit Russland und die Aufhebung der Sanktionen gegen den Nachbarn, um den Frieden zu wahren. Die LKS strebt ein Volkseuropa an, dessen Grundlage gemeinsame humanitäre Werte, Wirtschaft und Kultur sind und zwar „von Lissabon bis Wladiwostock“ (cvk.lv)




 
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