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Wie der Rigaer Fastnachtsbaum als Weihnachtsbaum berühmt wurde
23.12.2021


Die Geschichte des irdischen Paradiesbaums

Der Weihnachtsbaum vor dem Rigaer Schwarzhäupterhaus, Foto: UB

In den Nullerjahren entwickelte sich zwischen Tallinn und Riga eine merkwürdige Konkurrenz. Welche der beiden Hauptstädte hatte historisch den ersten Weihnachtsbaum und war er vielleicht der erste der Welt? Im Jahr 2012 meldete die damalige deutsche Nachrichtenagentur DAPD, dass Riga das Recht gebühre, die Stadt des Weihnachtsbaums zu sein. Im Jahre 1510 hätten Rigaer Händler erstmals einen geschmückten Tannenbaum aufgestellt und nach einer festlichen Zeremonie sei er verbrannt worden; Tallinn wurde in der Agenturmeldung nicht mal erwähnt. DAPD malte zudem aus, dass Riga viele Pilger beherbergt habe, die Heimweh gehabt und ihren Schmerz mit Weihnachtsschmuck gelindert hätten. Selbst die Tradition, Geschenke unter den Baum zu legen, soll in Riga entstanden sein. Die Agentur DAPD ging ein Jahr später pleite, das lettische Nachrichtenportal “Apollo”, das damals diese Meldung für lettische Leser aufbereitete, warnt inzwischen vor dem Alter seiner Nachricht und empfiehlt, nach neueren Informationen zu suchen (apollo.lv).


Wie gut, dass die lettische Nationalenzyklopädie seit drei Jahren als Open-Source-Quelle online zur Verfügung steht. Deren Autoren Gustavs Strenga und Gustavs Sedlenieks trennen in ihrem ausführlichen Eintrag zum Thema “Ziemassvetku egle”, “Weihnachtsbaum”, den wissenschaftlich erhärteten Weizen von der populärwissenschaftlichen Streu (enciklopedija.lv). Oftmals nutzten Autoren vorhandene Quellen zu unkritisch, also ohne deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Tatsächlich pflegten die Rigaer und Tallinner (bzw. Revaler) Schwarzhäupter - das war ein Kulturverein unverheirateter Kaufmänner - im 16. Jahrhundert den Brauch, einen Baum zur Zierde aufzustellen. Die Historiker fanden für Riga ein Dokument, das einen solchen “Bom”, niederdeutsch für “Baum”, für das Jahr 1510 nachweist. Doch dieser wurde für die Fastnachtstage geschmückt und vor Beginn des Aschermittwochs auf dem Marktplatz feierlich verbrannt. Dieser Baum war also eher ein Verwandter des rheinischen Hoppeditz`, der wegen seiner karnevalesken Sündhaftigkeit bestraft und verbrannt werden muss.


Strenga und Sedlenieks bezweifeln zudem, dass der Weihnachtsbaum auf uralten heidnischen Traditionen basiere. Zwar gab es zur Wintersonnenwende Bräuche, Holzstücke aus dem Wald zu holen und sie zeremoniell zu verbrennen, doch sie sehen keinen Zusammenhang mit dem Christentum. Einleuchtender ist eine Erklärung der berufenen Webseite Katholisch.de: Zu Weihnachten inszenierte man in der frühen Neuzeit Krippenspiele, deren Szenen bis zu Adam und Evas Vertreibung aus dem Paradies zurückreichten. Im Garten Eden wächst der berühmt-berüchtigte Baum, dessen verbotene Früchte nicht nur auf wissenschaftliche Art süßeste Erkenntnis bereiten. Ein solcher Paradiesbaum schmückte nicht nur die Kulisse des Krippentheaters, sondern auch die winterlichen Gefilde, er bot sich auch ohne Aufführungen als weihnachtliche Zierde an, mit süßen Früchten behängt.  


Die Historiker gehen inzwischen davon aus, dass der Weihnachtsbaum im Elsass oder im südwestdeutschen Raum “erfunden” wurde. Der Straßburger Stadtschreiber Sebastian Brant weist in seinem “Narrenschiff” von 1494 auf die Tradition seiner Mitbürger hin, zur Weihnachtszeit Tannenzweige zu verzieren. Möglicherweise stand der erste vollständige Weihnachtsbaum 1539 im Straßburger Münster, wo ihn Mitglieder der Handwerkszünfte aufgestellt hatten. In den kommenden Jahrhunderten verbreitete sich die weihnachtliche Nadelbaumzierde in deutschsprachigen Städten, sie zierte Zunft- und Gildehäuser zunächst in protestantischen Kreisen, denn Luther wollte der katholischen Heiligenverehrung den Garaus machen. Der 6. Dezember, an dem der heilige Nikolaus den Kindern die Geschenke brachte, war ihm ein Graus. So übte sich der abtrünnige Augustiner als erster im Christmas-Marketing: Er ersann für den Nachwuchs das Geschenke bringende Christkind und soll auch schon einen Christbaum aufgestellt haben. Weihnachtsbäume zierten fortan öffentliche Plätze und Räume. Nur Wohlhabende konnten sich lange Zeit eine Tanne für den häuslichen Weihnachtsschmuck leisten. Erst die Baumplantagen des 19. Jahrhunderts ermöglichten den weniger begüterten Schichten, sich eine frische Fichte zuzulegen. Auch die Katholiken kamen allmählich auf den Geschmack, die sich bis dahin mit Weihnachtskrippen begnügt hatten.


Kein Geringerer als Seine Durchlaucht Prinz Franz Albrecht August Karl Emanuel von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Herzog zu Sachsen, also ein Name, der sich gut aus Wikipedia herauskopieren lässt, sorgte für die Popularisierung des Weihnachtsbaums in der ganzen Welt. Er vermählte sich 1840 mit der britischen Königin Viktoria und präsentierte der Londoner Öffentlichkeit den Brauch seiner Heimat. Bereits das erste Weihnachtsfest nach der Hochzeit feierte die königliche Familie rund um den geschmückten und mit Kerzen versehenen Tannenbaum, so bildete es die Zeitung “The Illustrated London News” ab (nordengland.net). Von dort aus verbreitete sich die Sitte, zur Weihnachtszeit einen Baum zu zieren, im ganzen Weltreich.


Für die Stadt London ist der Weihnachtsbaum für den Trasfalger Square ein billiges Vergnügen. Die Stadt Oslo spendet ihn alljährlich. Diese Tannen aus norwegischen Gefilden werden seit 1947 am ersten Dienstag im Dezember im Beisein der Bürgermeister von Westminster und Oslo aufgestellt. Damit bedanken sich die Norweger für die britische Unterstützung im Zweiten Weltkrieg. Auch der lettischen Regierung erschien ein Weihnachtsbaum aus heimischem Wuchs als die rechte Geschenkidee für die Briten. Seit einigen Jahren erhält das britischen Außenministerium eine lettische Fichte, die das Lancaster House schmückt. Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics nutzte die Präsentation des Baums, um einige Verträge zu unterzeichnen, denn nach dem Brexit muss die rechtliche Beziehung zwischen beiden Staaten neu geregelt werden (lsm.lv).


Der Weihnachtsbaum schmückt heutzutage weltweit öffentliche Plätze und private Räume. Für Kinder ist er wohl tatsächlich ein Paradiesbaum, unter dem viele Wünsche in Erfüllung gehen. Mag er auch Ihnen Freude bereiten. Die Lettische Presseschau und das Lettische Centrum Münster wünschen Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.


UB 




 
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