Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Lettland tut sich schwer mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen
23.06.2006


Your rights end where my ass begins

Sollte es gut ausgehen, hat sich Lettland in den letzten Tagen bloß kräftig blamiert. Nicht auszuschließen aber, daß demnächst ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg gegen die mittlere der drei baltischen Republiken angestrengt wird. Und wenn es dabei zu einem Schuldspruch kommt, drohen saftige Strafen.
Ohne jegliche Not, allein die Anfang Oktober anstehenden Parlamentswahlen im Auge, schloß nämlich eine Mehrheit des Hohen Hauses zu Riga am 15. Juni locker zu solch unsäglichen Moralaposteln wie dem Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow oder dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski auf und kippte einen Passus aus dem Beschäftigungsgesetz, der eine Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund ihrer sexueller Orientierung verbietet. Im Klartext: wer als Lesbe oder Schwuler an seinem Arbeitsplatz diskriminiert wird, soll in Lettland keinen Schutz des Gesetzes genießen.
 
Schwulendiskriminierung

Nun tut sich Deutschland in diesem Bereich weiß Gott auch nicht leicht, wie die Diskussion um die hier gleichfalls fällige Anpassung an die EU-Antidiskrimierungs-Richtlinie zeigt. Aber während selbst in der CSU die hartnäckigste Kritik am entsprechenden Gesetzentwurf allenfalls den bürokratischen Aufwand für die praktische Umsetzung moniert, wurde in Riga gleich die Pädophilie-Keule hervorgeholt. Der pastorale Fraktionschef der Ersten Partei Lettlands (Latvijas Pirma partija, im Volksmund auch spöttisch Pfaffenpartei genannt), Janis Smits, bemühte die Bibel zum Nachweis dessen, daß eine gleichgeschlechtliche Orientierung auf den Abfallhaufen "sexueller Perversionen" gehöre. Dzintars Rasnacs von der Liste Für Vaterland und Freiheit/Bewegung für die nationale Unabhängigkeit Lettlands (Tevzemei un Brivibai/Latvijas Nacionalas Neatkaribas kustiba) setzte noch einen drauf: er entblödete sich nämlich nicht, seine Mitabgeordneten vor der Annahme der Antidiskriminierungsklausel mit der Aufforderung zu warnen, sie mögen sich vorstellen, wie "ein schwuler Turnlehrer ihre Söhne befummelt".

 

Schwulendiskriminierung

 

Anschließend ging es im Leserforum der Online-Ausgabe der größten lettischen Tageszeitung Diena zu wie in Sodom und Gomorrha: völlig ungeniert wurden dort alle gängigen Vorurteile gegen Schwule und Lesben als der Weisheit letzter Schluß aufgetischt, nur die Aufforderung zum Teeren, Federn und Kreuzigen fehlte noch. Aber vielleicht kommt sie ja noch. Denn einen handfesten Anlaß könnte der Versuch der Betroffenen bieten, am 22. Juli im Herzen der lettischen Hauptstadt den Umzug Riga Pride 2006 durchzuführen. Was aber letztes Jahr als friedliche Kundgebung sexueller Minoritäten gedacht war, geriet schließlich zum Aufmarsch einer fanatisierten, haßerfüllten Homophoben-Internationale.

 

Schwulendiskriminierung

 

Die kategorische Forderung nach "gesunden und starken Familien" gehörte da noch zu den harmloseren Parolen, auch das gegen den Satan der Homosexualität erhobene Heiligenbild und Kreuz. Ansonsten aber wurden geifernd Poster mit der englischsprachigen Aufschrift "Deine Rechte enden dort, wo mein Arsch beginnt" in jede sich bietende Kamera gereckt, allderweil Rotzbengel durch die Menge wieselten, die zwar lauthals jeden Homosexuellen als Päderasten beschimpften, im Zweifelsfall aber alle Mühe hätten, sowohl den einen als auch den anderen Begriff zu buchstabieren, von Erläutern ganz zu schweigen (s. die Abbildungen zu diesem Text). Und es fanden sich zu dieser Schau der Intoleranz Kräfte zusammen, die sich üblicherweise spinnefeinde sind: lettische und russische Reaktionäre der allerfinstersten Sorte.

 

Nicht zuletzt dieser Umstand legt dann auch die Vermutung nahe, daß es letztlich gar nicht so sehr um Schwulen und Lesben, Trans- und Bisexuelle geht. Vielmehr spricht einiges dafür, daß sie schlicht mißbraucht werden - sei es als Blitzableiter für die Verunsicherung, die der Aufbruch in Demokratie und Marktwirtschaft bei vielen Einwohnern der Baltenrepublik ausgelöst hat, sei als Hebel, mit dem sich gerade die Latvijas Pirma partija aus dem üblen und durchaus nachvollziehbaren Verdacht der Durchstecherei herauskatapultieren möchte.

 

Zumal Strategen dieser Couleur ungewollt eine der wenigen integren politischen Figuren Lettlands zur Seite steht - Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga. Wenn sie nämlich ihre Pflicht tut, indem sie Gesetze zur erneuten Beratung an das Parlament zurückschickt, die unsinnig oder dem Wohl des Landes abträglich sind, knallen in den entsprechenden Parteizentralen die Sektkorken. "Wir wollten ja bei den Perversen durchgreifen", könnte in diesem Fall die Parole lauten, von der man sich beim Urnengang Anfang Oktober Punkte verspricht, "aber die Präsidentin..."

 

Dies ändert aber nichts an einem grundlegenden Dilemma: ein Gesetz zum Schutz vor Diskrimierung am Arbeitsplatz war eine der Grundbedingungen für die Aufnahme Lettlands in die EU 2004. Schon allein deshalb steht Riga in europäischer Bringpflicht. Ganz zu schweigen davon, daß die Baltenrepublik nun das einzige EU-Mitgliedsland ist, das seinen sexuellen Minderheiten in diesem Bereich rechtlichen Schutz verweigert. Umso auffälliger diese Peinlichkeit, als das EU-Parlament zeitgleich zu der unrühmlichen Entscheidung der lettischen Gesetzgeber mit 301 zu 161 Stimmen bei 102 Enthaltungen eine Resolution verabschiedete, die Homophobie und Rassismus in den Mitgliedsländern verurteilt und eine zügige und umfassende Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinie verlangt.

 

Wohl kaum zum Trost dürfte da für Riga die Nachricht gereichen, daß auch Nachbar Estland in dieser Frage kaum eine bessere Figur macht: dort hatte der Botschafter der Niederlande, Hans Glaubitz, Anfang Juni um seine Versetzung gebeten, da er seinen farbigen Lebensgefährten in der Hauptstadt Tallinn ständigen sexuellen und rassistischen Verbalattacken ausgesetzt sah... (AP, 6. Juni; BBC news, 16. Juni; Diena, 16. und 17. Juni; 365Gay.com, 15. und 16. Juni).




 
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