Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Letten werden in Cesis “Patria6x6”-Panzerfahrzeuge herstellen
09.03.2022


Das Gefühl von Ohnmacht und Unsicherheit begünstigt Rüstungspläne

Ein Patria 6x6-Fahrzeug, Foto: TnTkr, Own work CC BY-SA 4.0, Link

Mit Vater Antons Seufzer: “Ich verstehe die Welt nicht mehr!“ ließ Dramatiker Friedrich Hebbel seine Tragödie über Maria Magdalene beenden, nachdem sie wegen einer ungewollten Schwangerschaft, die sie ihm nicht zu gestehen wagte, Suizid begangen hatte. In einer psychisch ähnlichen Lage wie Meister Anton befindet sich derzeit wohl ein Großteil der Europäerinnen und Europäer. Bei dem, was ihnen die Medien derzeit vermitteln, empfinden sie Mitleid, Furcht und Schrecken. Die Zeit scheint anomisch, scheinbare Gewissheiten zerbröseln; das, was gestern noch gut war, zum Beispiel der Austausch zwischen Nationen, der Versuch, die andere Seite zu begreifen, erscheint jetzt wie ein Verderben. Mit dem Angriffskrieg erfüllte Wladimir Putin einem seiner Widersacher, dem lettischen Verteidigungsminister Artis Pabriks, ungewollt einen dringlichen Wunsch: Am 27. Februar 2022 haben die Deutschen, zumindest deren Repräsentanten, dem von Pabriks beargwöhnten Nachkriegspazifismus abgeschworen (LP: hier). Olaf Scholz stellte in der sonntäglichen Sondersitzung des Bundestages 100 zusätzliche Milliarden “Sondervermögen” für die Aufrüstung in Aussicht, zudem Waffenlieferungen für die Ukraine. Das Plenum applaudierte stehend. Der Oppositionsführer Friedrich Merz bestätigte den mentalen Crash: Deutschland stehe vor einem „Scherbenhaufen der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte“, sagte Merz. Einige der vermeintlichen Gewissheiten gehörten der Vergangenheit an (bundestag.de).


Deutschland rüstet auf und seine Nachbarn jubeln (yahoo.com). Das sind tatsächlich anomische Zeiten. Hätte es seine Regierung abgelehnt, sich an Sanktionen, Waffenlieferungen und Aufrüstung zu beteiligen, dann wäre es diesmal das zweitunbeliebteste Land in Europa gewesen. Anomisch auch das Gut und Böse der Rüstungsindustrie. Wer mit ihren Aktien Geld macht, tat bislang gut daran, das in gewissen gesellschaftlichen Kreisen für sich zu behalten; denn Gewinne aus Waffengeschäften galten manchen als ähnlich anrüchig wie der Profit mit Kinder- oder Zwangsarbeit (finanztip.de). Fortan dürfte der beschwichtigende, häufig englisch formulierte Sicherheitsjargon der Rüstungs-PR mehr verfangen. Wie wird das Verdienen mit Rüstungsaktien zukünftig bezeichnet? Als das Beziehen einer Friedensdividende, einer todsicheren?


Lettland kam dem vereinbarten NATO-Ziel nach der Krim-Annexion, den Militärhaushalt auf mindestens zwei Prozent des BIP anzuheben, unverzüglich nach, verdoppelte dafür die Ausgaben in kurzer Zeit. Glich die Waffenschau der Nationalen Streitkräfte am Nationalfeiertag vor einem Jahrzehnt dem Freizeitmaterial einer ambitionierten Wehrsportgruppe, so paradiert inzwischen eine stolze Kolonne von Panzerfahrzeugen an der Tribüne des lettischen Staatspräsidenten vorbei.


Artis Pabriks organisiert weitere Aufrüstung, die Waffenkäufe sollen auch der hiesigen Wirtschaft zugute kommen (sargs.lv). So ist im beschaulichen Cesis (Wenden) zwischen Riga und Valmiera eine Produktionsstätte für finnische “Patria6x6”-Fahrzeuge vorgesehen. Dafür gründete die Filiale der finnischen Rüstungsschmiede “Patria” mit dem lettischen Lkw-Servicebetrieb “Unitruck” das Gemeinschaftsunternehmen “Defence Partnership Latvia”. Im August 2021 unterzeichnete Pabriks mit seinem finnischen Amtskollegen Antti Kaikkonen und “Patria” den Vertrag. Derzeit werden die sechsrädigen gepanzerten Fahrzeuge noch in Finnland vormontiert. Die Endmontage erfolgt schon in Cesis, allerdings noch mit der Hilfe finnischer Fachkräfte.  


Ab 2023 wird die gesamte Montage in Cesis stattfinden; auch die meisten Bauteile sollen später lettische Firmen zuliefern. Ugis Romanovs, der Geschäftsführer von “Defence Partnership Latvia”, plant eine neue Produktionsstätte und stellt 30 neue Arbeitsplätze für Auto- und Maschinenbauer in Aussicht. Diese sind im strukturschwachen Cesis nicht so leicht zu finden, weil entsprechende Fachkräfte längst das Weite suchten. Deshalb verhandelt Romanovs mit Ausbildungsstätten der Umgebung. Bis 2029 sollen die Nationalen Streitkräfte und die Nationalgarde 200 Patria-Fahrzeuge erhalten, um im Gelände mobiler und manövrierfähiger zu werden. Das ist nicht das einzige Projekt, das Pabriks vorschwebt. Zukünftig sollen lettische Firmen auch militärtaugliche Drohnen und Kettenfahrzeuge herstellen.


UB 




 
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